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Carina Wetzlhütter: „Für Anyline ist guter Inhalt (Content) sehr wichtig, da das hochtechnische Produkt ansonsten nicht verkäuflich wäre.“
Um Erfahrungen und Einblicke in die Content-Strategie-Unternehmenspraxis zu bekommen, führte ich unter anderem Gespräche mit ExpertInnen in Wiener Start-ups. Da die Interviews sehr aufschlussreich waren, möchte ich diese nun publizieren und starte mit dem Jungunternehmen Anyline und seinem Head of Marketing Carina Wetzlhütter.
Anyline ist ein Hochtechnologie-Start-up und beschäftigt sich mit Texterkennungssoftware (OCR-Technologie). Dabei werden Echtzeitdaten mittels Smartphone gescannt und zur Weiterverarbeitung digitalisiert. Die Use Cases reichen vom Ablesen des Gaszählerstands bis zum Scannen von Vouchercodes auf Getränkedosen oder zur Registrierung von Blutzuckerwerten, um diese im persönlichen App-Tagebuch zu speichern. Die Brauerei Karlsberg hat zur Fußball-EM mehr als 1,3 Millionen Kronkorken für eine Gewinnspielaktion mit der Texterkennungssoftware ausgelesen. Die Entwicklung der komplexen Technologie fand in einem Zeitraum von etwa eineinhalb bis drei Jahren statt und mittlerweile zählen die United Nations, Red Bull Mobile und B2B-Unternehmen aus den USA oder Japan zu den Kunden von Anyline.
Carina Wetzlhütter war eine der ersten MitarbeiterInnen des jungen Tech-Start-ups und von Anfang an mit dabei. Mittlerweile beschäftigt das Jungunternehmen 23 MitarbeiterInnen und Carina bekleidet die Position Head of Marketing. Als Marketing Lead ist sie ebenso für das Business Development zuständig und die Strategie rund um die Unternehmensinhalte fällt gleichfalls in ihren Verantwortungsbereich.
Die erste Frage, die ich Carina stellte, war, ob es bereits einen strategischen Zugang zu Content im Unternehmen gibt, wie sich dieser bemerkbar macht und wie Anyline derzeit mit Unternehmensinhalten umgeht. Carina erklärte mir, dass es für Anyline besonders wichtig ist, Use Cases rund um ihre Kerntechnologie, das SDK (Software Development Kit), auf- und auszubauen, um damit das Produkt und die Anwendungsmöglichkeiten greifbarer zu machen. Einerseits beschreibt das Jungunternehmen die Funktionsweisen des SDK textlich und andererseits zeigt es visuell, wie die Umsetzung aussehen könnte. Dabei platziert das Softwareunternehmen an allen Produkt-Touchpoints die passenden Content-Angebote. Dies ist essentiell bei einem Produkt, welches „nur“ aus Code-Zeilen besteht, betont Carina immer wieder. Anschließend verteilt Anyline die Inhalte als Implementierung, z. B. auf Github (Filehosting-Plattform).
Die Content-Verteilungsplattformen fallen unterschiedlich aus, erklärt mir Carina. Beispielsweise stellt das Start-up – wie auf Github üblich – „public projects“ zur Verfügung und Developer „klonen“ sich diese Projekte für den „Selbsteinbau“. Dies ist eine Form, wie das Unternehmen die Developer auf ihr Produkt aufmerksam macht und ihnen die Features der Software näherbringt. Ein weiteres Try-out, an welchem das Start-up-Unternehmen gerade arbeitet, ist, qualitativen Content für die Augmented-Reality-Branche und für „Wearables“ zu generieren. Carina beschreibt mir ein futuristisches Szenario: „Ein ,Warehouse-Mitarbeiter‘ betrachtet ein Paket mit der ,Smartglass‘ und bekommt unmittelbar und automatisch alle relevanten Daten zur Sendung eingeblendet.“ Salopp gesagt bringt Anyline mobilen Devices das Lesen bei.
Carina und ich unterhielten uns ebenso über andere technische Start-ups in Österreich und wie sich diese Inbound- und Content-Marketing zunutze machen. Einige dieser Start-ups habe ich für meine Thesis interviewt – als kleinen Teaser an dieser Stelle. Was ich aber eigentlich erwähnen wollte: Carina ist über die Content-Geschehnisse in anderen Co-Working Spaces bestens informiert!
Die Bezugsgruppen, die Anyline mit ihrem In-House-produzierten Content anspricht, sind nicht nur EntwicklerInnen, sondern auch InnovationsmanagerInnen von Enterprises, die neue Strategien und Prozesse in ihr Unternehmen bringen möchten.
Die Website von Anyline richtet sich hauptsächlich an Developer – egal ob sie aus großen Enterprises stammen oder Indie-Developer sind. Sie müssen sich auf der Website wohlfühlen und die Software problemlos runterladen können. Business- und Enterprise-Kunden versucht das Start-up, über direkten „Outreach“, Offlinekonferenzen, über Blogposts und suchmaschinenoptimierte Landingpages zu erreichen.
Ansonsten wollte ich wissen, wie innerhalb des Start-ups mit dem Thema Content-Governance und Content-Guidelines umgegangen wird. Carina erklärt mir, dass es eine wichtige Grenze gibt: Anyline hat sich Teile des Entwicklungsprozesses patentieren lassen. Content-Themen rund um die IP (Intellectual Property) des Jungunternehmens sind daher tabu. Dies wurde seitens des CTO und einer externen IP-Beraterin festgelegt, wenn auch noch nicht verschriftlicht. Die Inhaltsplanung verantwortet Carina und der CTO. Inhalte werden jedoch von mehreren Parteien produziert: Marketing und Technik bereiten Inhalte stets Hand in Hand auf.
Der Head of Marketing antwortete auf die Frage, ob die Content-Strategie im Leitbild, in der Kernstrategie etc. verschriftlicht wurde, dass Anyline mit detaillierten
Unternehmenszielen arbeitet und die Kommunikation um die „Usage“ des SDK in diesem Jahr im absoluten Vordergrund steht. Auf operationaler Stufe werden kurz- bis mittellangefristige Pläne gemacht und dies referiert u.a. zu vierteljährlichen Zielen und vierteljährlicher Boardmeetings, in welchen die Geschäftsführung den InvestorInnen die Fortschritte präsentiert, und sowohl Marketing- als auch Produktziele sind im Start-up genau definiert. Anyline benötigt viele EntwicklerInnen, die das SDK testen, damit herumspielen und damit Apps mit hoher Zugkraft hervorbringen. Dafür benötigt das Unternehmen viel digitalen Content, um Ideen zu geben und zu zeigen, wie einfach die Umsetzung von Computervision durch Anyline geworden ist – auch ohne große Server dahinter. Strategisch macht es für Anyline Sinn, Augmented Reality und Texterkennung zu kombinieren – schließlich arbeiten beide Technologien mit Objekterkennung.
Für Anyline ist Content sehr wichtig und wird von uns strategisch geplant, da das hochtechnische Produkt ansonsten nicht verkäuflich wäre.
Ferner sieht das Jungunternehmen Inhalte als ergänzendes Tool. Gemeinsam kreieren Marketing und Development „Content-Miniprodukte“, auf denen ein höheres „Search-Volumen“ liegt und die dann die UserInnen wiederum zurück zu Anyline führen.
Ebenfalls wollte ich von Carina wissen, mit welchen Projektmanagementtools sie arbeiten und wie sie damit die Qualität von Inhalten sicherstellen. Das Jungunternehmen nutzt für Blogpostings und Social Media eigene Trello-Boards und benutzt die Software gleichzeitig als Publishingplan. Wie erwähnt bekräftigt Carina, dass das Thema Content nicht nur zur Pull-Marketing-Strategie gehört, sondern ebenfalls in der technischen Entwicklung verankert wurde und alle im Unternehmen angehalten sind, Inhalte – seien es eigene Spaßprojekte auf Github etc. – beizusteuern. Ebenso entwickelte Carinas Team genaue Guidelines für wenig geübte SchreiberInnen. Um die Qualität sicherzustellen, startet erst nach dem Verfassen eines Blogbeitrags das richtige Copywriting im Marketing. Das Start-up verwendet ansonsten noch Buffer, um Inhalte vorzuproduzieren. Für Innovationen im Energiebereich erzeugt Anyline sogar eigene Inhalte in deutscher Sprache.
Besonders interessiert hat mich, ob das Start-up zukünftig noch weitere Ressourcen im Bereich Content plant. Carina informierte mich, dass es derzeit wenige Menschen gibt, die Marketing-Know-how und gleichzeitig technischen Background aufweisen können. Das Start-up denkt zwar daran, eine Aufstockung vorzunehmen, die vor allem der Entlastung der Developer dient, doch gestaltet sich die Suche schwierig und Anyline hat noch niemanden gefunden, der Hochtechnologie und Content-Strategie vereint.
Leute, die aus dem Techbereich kommen und auch Marketing toll finden, sind schwer zu finden.
Abschließend habe ich mich bei Carina erkundigt, ob Anyline mit semantischer Anreicherung von strukturierten Daten arbeitet. Das Thema wird im Jungunternehmen derzeit noch etwas stiefmütterlich behandelt, räumte Carina ein. Dies liegt vor allem an den knappen Ressourcen.
Zu guter Letzt erkundigte ich mich, wie im jungen Unternehmen der Erfolg von Content gemessen wird. Das Start-up bezieht seine Key-Metrics aus dem Produkt selbst. Darüber hinaus hilft ein detailliertes Reporting den EntwicklerInnenteams, die Software weiter zu verbessern und Schlüsse daraus zu ziehen. Der konkrete Erfolg von Content-Marketing wird im wöchentlichen Marketing-Jour-fixe diskutiert. Besprochen werden Kennzahlen aus den drei wichtigsten Blogpostings wie z. B. Traffic, Linkbacks etc. verzahnt mit Daten aus Social Media und AdWords.
Der konkrete Success von Content-Marketing wird im ,Weekly Marketing Jour Fixe‘ besprochen und unter anderem darüber diskutiert, welche Blogpostings die meisten Impacts gebracht haben.
Für Anyline ist es wichtig, kurzfristig viele Downloads zu genieren, erzählt mir Carina. Die Content-Strategie hingegen braucht Zeit, bis sie greift, und daher sieht es Carina als ihre Aufgabe, die strategische Inhaltsplanung noch viel stärker im Unternehmen zu verankern. Denn eines weiß Carina sicher: Wenn Anyline ein vollständiges „Content-Ökosystem“ um das Produkt aufgebaut hat, wird es zu größerem Erfolg führen als Onlinekampagnen um viel Budget.
Wer jetzt neugierig geworden ist, sollte im Rahmen des Computer Vision Meetup am 31. August bei Anyline vorbeischauen. Das Start-up zeigt eine Live-Demo der Microsoft HoloLens.