Zur Mittagszeit herrschen noch immer Temperaturen um die minus 6 Grad. Der Wind peitscht den Schnee waagrecht durch die Straßen. Sofort setzen sich die Schneekristalle auf die freien Stellen des Gesichts – sie fühlen sich an wie kleine Nadelstiche auf der Haut. Das Vorankommen fällt schwer, denn das Kopfsteinpflaster ist unangenehm rutschig und glatt. Unmissverständlich zeigt mir die europäische Kulturmetropole bei meinem Besuch die kalte Schulter.
Mit frostigen und roten Wangen ging es an einem Wochenende in März durch die Goldene Stadt. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich die Bezeichnung Stadt aus Schnee und Eis treffender gefunden. Vielleicht verzauberte mich gerade deswegen das Prager Stadtbild mit seinen hundert Türmchen, angezuckert mit frischem Schnee, letztendlich doch sehr.
Die historische Altstadt zieht unter normalen Umständen scharenweise Menschen an und die ewig überfüllte Innenstadt gehört zu den Standardreisewarnungen. Doch das bewahrheitete sich an diesen Tagen nicht: Die Wege blieben menschenleer. Und wurde es auf kleinen Treppen oder in schmalen Gassen doch einmal dichter, freuten sich die hartgesottenen Voyageure über die gegenseitige Körperwärme und drängten sich wie die Pinguine aneinander.
Halb erfroren, im ständigen Kampf mit dem Schneesturm, fragt sich der Mensch, was wohl von Weisheiten wie „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“ zu halten ist: Spätestens dann ist es an der Zeit, ins Warme zu wechseln. Und plötzlich ist es auch gar nicht mehr so abwegig, „nur“ auf einen Kaffee nach Prag zu fahren.
Im Nachhinein kann von einem schlichten Kaffee keine Rede sein, dafür hat Prag kulinarisch einfach zu viel zu bieten – wenngleich im ersten Moment Schwein, Kraut und Knödel die Sicht auf die raffinierte Küche versperren. Bisweilen muss man eben ein wenig suchen, wenn auf den Tellern Gemüse oder Salat auftauchen soll. Trotzdem sollte man einen Besuch im traditionellen Wirtshaus nicht auslassen.
Kavárna co hledá jméno
In einer ehemaligen Tischlerei liegt das Kavárna co hledá jméno. Die Übersetzungsfunktion sagt Café, auf der Suche nach einem Namen dazu. Ich finde, die Interpretation könnte nicht passender ausfallen: Während draußen der Schneesturm heult, ist es drinnen unbeschreiblich gemütlich.
Die jungen Besitzer machen keinen Hehl daraus, wie wichtig es ist, alten Gebäuden wieder Leben einzuhauchen – einst war dieser Ort reif für den Abbruch. Und auch kulinarisch ringe ich nach Worten: Oh du himmlisches Ei Benedikt.
Home Kitchen
Wer keine Lust auf Gulasch hat, ist in der Home Kitchen genau richtig. Wärmendes Curry, frischer Fisch, Burger, Omelette mit Ziegenkäse, rote Rüben und karamellisierte Walnüsse kommen hier aus dem Herzen des Restaurants: der offenen Küche. Home Kitchen lässt sich nicht nur in die Kochtöpfe schauen, sondern trägt den Namen zu Recht. Das Restaurant ist mit schönem Holz eingerichtet – die großen, massiven Tische sind sehr bequem und bieten Platz für Kamera, Smartphone, Stadtplan, Reisetagebuch sowie für die vielen Teller mit den herrlichen Speisen. Keine Frage: Home Kitchen kann im Gemütlichkeitsfaktor mit dem eigenen Zuhause konkurrieren. Selten hat mich Essen so in den Bann gezogen – da vergaß ich sogar, das Besteck aus der Hand zu legen und zur Kamera zu greifen. Was für ein Fauxpas!
Kafka Snob Food
Der berühmte Schriftsteller Franz Kafka begleitet einen in Prag nahezu auf Schritt und Tritt – was der Kulturreisende sofort mit einem Besuch im Literaturcafé quittiert, wobei das ehemalige Café vor einiger Zeit seine Tore schloss. Jetzt ziert die Fassade der Schriftzug „Kafka Snob Food“ – mehr Design- und weniger Literaturcafé. Über die Neuauflage des alten Kaffeehauses wurde bestimmt heftig diskutiert. Ich für meinen Teil fand das Ambiente behaglich. Über den ausgezeichneten Kaffee lässt sich wohl nicht streiten– und schon gar nicht über die frische Ingwerlimonade.
Republica Coffee
Dass die Prager Kaffeehäuser zum unverwechselbaren Kolorit der Stadt beitragen, ist nicht nur bei Kaffeeliebhabern oder Studenten bekannt. Das Republica Coffee liegt in der Altstadt und garantiert perfekt gerösteten Kaffee. Die Einrichtung besteht aus einem Mix von Industrial Design, Street Art Fairy Tales und Pop Art à la Roy Lichtenstein. Eine kleine Geschmacksexplosion waren die Bagels mit Gorgonzola, Ziegenkäse, Nüssen, Birnen, Pancetta und einem Hauch scharfer Chili. Mhhhhh.
TriCafe
Im historischen Teil der Stadt liegt das TriCafe. Die Lage – unweit der John-Lennon-Mauer – ist also perfekt, um auf einen Kaffee mit hausgemachtem Kuchen einzukehren. Der Fokus liegt hier auf europäischen Röstverfahren, insbesondere auf dem Zubereiten von Espresso. Dieses Café ist der Innbegriff von Gastlichkeit: Vintagemöbel von Jindřich Halabala bis Jiří Jiroutek verbinden eben Generationen.
Cobra
Die Cobra Bar zählt zu meinen Highlights an diesem Wochenende. Spitzenkaffee, Biersorten aus kleinen Brauereien, helle, leckere IPAs (India Pale Ale) und gutgemachte Cocktails: Das Trendcafé lockt mit einer hervorragenden Getränke- sowie Speisekarte. Natürlich gehören auch hier die unverputzten Wände zur Standardausstattung. Stundenlanges Abhängen in dem luftig hohen Raum mit den großen Fenstern ist Programm: Ich weiß, wovon ich spreche.
Kavárna Styl & Interier
Gegenüber dem Luzerna Palais liegt das Kavárna Styl & Interier, ein kleines, geheimes Refugium. Umgeben von hohen Mauern, führt eine barocke Passage in einen zauberhaften Garten mit jahrhundertealten Platanen. Das Café sowie das Restaurant stehen für Speisen und Snacks im französischen Stil. Sandwiches, Fenchelquiche mit Ziegenkäse, Omelette, Lamm in Rotweinsauce, Pasta sowie wunderschöne hausgemachte Kuchen und Torten werden im Sommer sogar im romantischen Gartenpavillon serviert. Damit nicht genug: Das von Innenarchitekten gegründete Gartencafé schafft es, dass Designliebhaberherzen höherschlagen. Denn Wohnaccessoires, Kerzenhalter, Blumentöpfe, Körbe, Lampen, ja sogar Möbel lassen sich im Showroom oder direkt im Restaurant aussuchen und erwerben.
Leica Gallery Prague
Die Galerie konzentriert sich auf die Präsentation tschechischer und slowakischer Fotografen. Aktuell ist die eindrucksvolle Sammlung des Mode- und Werbefotografen Marek Musil „World on Fire – The Burning Man Collection“ zu sehen.
Parallel dazu lädt ein integriertes Lesecafé ein, zum Buch zu greifen, um sich völlig in der Fotografie zu verlieren.
Vielleicht war es die Kälte, eine missglückte Stadtrundfahrt, der Nebel, der das Panorama verschleierte, eine Art Fremdheit oder ein kleiner Anflug von Melancholie: Prag und ich brauchten ein wenig, um warm zu werden. Daheim allerdings, beim Sortieren der Fotos, beim Schreiben, als ich die Eindrücke Revue passieren lasse, fällt mir das Zitat des großen Schriftstellers ein:
„Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen.“ (Franz Kafka)
Wir sehen uns also bald wieder!