Mata Hari, Fidel Castro, Coco Chanel, Madonna, Andy Warhol versus Martin Luther King, August Oetker, Albert Schweitzer, Kevin Costner: Als wir noch Kinder waren, gingen meine Schwester und ich von Zeit zu Zeit die Liste berühmter Persönlichkeiten durch. Wir verglichen, welche einflussreiche oder wichtige Person im selben Sternzeichen Geburtstag hatte. Meine Schwester triumphierte: In ihrem Tierkreiszeichen waren besonders schillernde Menschen geboren.

Erst viele Jahre später wurde mir klar, welche Trümpfe ich eigentlich im Ärmel hatte. Unter anderem erblickte Simone de Beauvoir am 9. Jänner das Licht der Welt. Heuer wäre sie 111 Jahre alt geworden – vermutlich hätte sie sich jetzt einen Scotch genehmigt – trotzdem lässt sie die Konkurrenz alt aussehen, finde ich.

In einer Vorlesung, kurz vor ihrem und meinem Geburtstag, sagte mein damaliger Professor: „Über Satre können wir – von mir aus – gerne diskutieren, aber über Simone de Beauvoir lasse ich nichts kommen. Ohne sie säßen Sie heute nicht hier!“

Voilà, die Initialzündung: Geburtstag in Paris.

Damit das Ganze schön feierlich ablief, hatte ich mir ein paar Tage zuvor Satres Briefe an Simone de Beauvoir aus der Bücherei der Raritäten geholt. Mit zwei dicken Wälzern im Koffer – die Briefe an Sartre und die Briefe an Simone de Beauvoir – traf ich nahe der Champs-Élysées ein.

Zur Feier des Tages buchte ich sogar ein Hotel – anstatt der üblichen Ferienwohnung über den Community-Marktplatz.

Subjektives Sein am Geburtstag

Schon bei der Ankunft im Hotel begegnete ich dem ersten Kamerateam, das sich mit dem Hotelpersonal stritt. Sie wurden verflucht, für mich gab es Warnungen: Denn es war der neunte Samstag in Folge, in denen die Gilets Jaunes auf die Straßen gingen. Wegen der Gelbwestenproteste blieben viele Geschäfte rund um die Champs-Élysées geschlossen, die Auslagen der Geschäftslokale wurden verbarrikadiert und die Straßen waren menschenleer – abgesehen von den Demonstrierenden, den tausenden Polizisten und den vielen gepanzerten Fahrzeugen, die im Einsatz waren. Zudem kam es am frühen Morgen des 12. Jänners in einer Bäckerei zu einer heftigen Explosion. Schuld war eine defekte Gasleitung – auf Twitter war die Spekulationshölle los. Im Umkreis des Hotels gab es ab Mittag keine Metro-Station mehr, in der die Züge hielten. Die innere Stadt war aufgeladen und leer zugleich.

Trotz der Bücher im Koffer folgte ich an diesem Wochenende nicht den Spuren Simone de Beauvoirs. Ich besuchte nicht das Café de Flore oder den Friedhof in Montparnasse, suchte auch nicht in irgendwelchen Gassen nach Satres Revoluzzer-Geist. Ich war an diesen Tagen, wie jede gute Existenzialistin: selbstbestimmt und viel draußen.

Etwas entwurzelt – vor dem Abend gab es keine Aussicht auf ein gemütliches Hotelbett – hing ich auf den Stufen von Sacré Cœur großen Gedanken nach und beobachtete das schwer bewaffnete Militär, das mit steifen Bewegungen zwischen den Menschen auf und abmarschierte. Stundenlang schaute ich Straßenkünstlern beim Seifenblasenmachen zu, verfolgte wie die Händler mit den kleinen Eiffeltürmen, Feuerzeugen und Ringen herumspielten, die eigentlich zum Verkauf gedacht waren, aber für die sich kaum jemand interessierte. Gefolgt von Kaffeehausbesuchen, etwas Streetfood und einer erneuten Sonderausstellung zu Egon Schiele – eine Tour, die wahrscheinlich schon viele Paris-Reisende so oder so ähnlich erlebt haben: eventuell nur ein kleines Déjà-vu.

Tag 1: Le mur des je t’aime – Wall of Love

Frédéric Baron, Musiker aus Paris und glühender Anhänger von Philéas Fogg, der zentralen Figur aus Jules Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt, schaffte mit der Wall of Love eine Hommage an die Liebe. Baron träumte davon, um die Welt zu Reisen und dabei 80-mal Ich liebe dich zu lernen. Zu dieser Reise ist er nie aufgebrochen – stattdessen bat er seinen jüngeren Bruder, einen Seemann, den berühmten Satz aufzuschreiben. Später wandte er sich an Nachbarn, Bekannte, Freunde aus aller Welt – nicht zuletzt an zahlreiche Botschaften fremder Länder in Paris. Am Ende hatte Baron mehrere Notizbücher mit dem Sätzchen Je t’aime und das Projekt nahm seinen Lauf.

Am Hügel von Montmartre

Ich stieß über die 5, rue Houdon ins Herz von Montmartre. Die Rue Lepic ist mir meistens zu überlaufen und die Geschäfte sind in der 5, rue Houdon viel hübscher. Um zu der Spitze des Hügels zu gelangen, nahm ich die Treppe, mit einer Kaffeepause dazwischen. Am historischen Place du Tertre lohnte sich dann doch wieder das Bad in der Menge. Und wie immer verlor ich mich in den steilen Gassen des Abbesses-Viertels. Retour ging es dann am altmodischen Ringelspiel vorbei – kurzes Einatmen: Charme der fabelhaften Welt der Amélie – gleich wieder Ausatmen: bei herrlichem Pita im Le Sabich.

The same old shit: Außergewöhnliches Doppel in der Fondation Louis Vuitton

Es war später Nachmittag, ich war erschöpft und müde. Die Metrostationen rund um das Hotel waren nach wie vor gesperrt und die Demonstrationen hielten an. Deswegen dauerte die Fahrt nach Les Sablons nur 15 Minuten – das war praktisch. Danach erhielt ich ein Geschenk: Egon Schiele und Jean-Michel Basquiat am vorletzten Tag, ohne Reservierung mit nur 30 Minuten Wartezeit. Teile der Schiele-Sonderschau zweigte ich aus Gründen ab, jedoch nicht ohne vorher die Museumstexte studiert zu haben: Tulln war nicht Neulengbach, Wien nicht Klosterneuburg oder Krems ­– alles hatte seine Ordnung. Ein letzter prüfender Blick auf einige Lieblingsbilder, schon hatte mich Jean-Michel Basquiat völlig eingenommen: Ich war wieder hellwach. Der Street-Art-Künstler begann seine Karriere als SAMO© (same old shit). 1977 schrieb er auf Häuserwände in Soho poetische und geistreiche Statements. Sein spielerischer Umgang mit der Sprache, das Wiederholen von Worten und die großen Schrift- und Textfragmente in seinen Bildern mag ich sehr – klar, er ist im selben Abschnitt geboren.

SAMO© AS AN END 2 THE NEON FANTASY CALLED ,LIFE‘

Jean-Michel Basquiat

Tag 2: Verliebt in Schloss Versailles

Ich finde es paradox, dass Paris als Stadt gilt, in der unhöfliche Menschen leben: Mir sind bis zuletzt keine begegnet. Womöglich liegt die Erklärung darin, weil ich aus Wien anreise und in der französischen Stadt nie eine nur ähnliche Zurückweisung erfahren habe. Aus diesem Grund würde ich den Ticketkauf in Schloss Versailles sogar als schmeichelhaft bezeichnen. Wir unterhielten uns natürlich über Maria Theresia, selbstverständlich über Marie-Antoinette und im Besonderen über Mozart. Wenn das Arroganz ist, dann hat sie jedenfalls Kultur.

Im Schlosspark von Versailles, im kleinen Venedig, entschied ich mich für Kaffee und Kuchen. Als ein verlässlich schlechtes Omen kann gewertet werden, wenn Fremdwörter bereits im Kopf fehlerhaft klingen. Tatsächlich sollte man dann darauf verzichten, sie wirklich auszusprechen. Jedenfalls nahm die Bedienung es zum Anlass, mir den Namen der köstlichen Nachspeise mit eleganter Stimme vorzusingen: Tarte Tatin, Taaarte Tatiiiin, Taaarte Tatiiin. Sie hatte es geschafft, ich verliebte mich sofort in die Süßigkeit: Beim Bezahlen sangen wir gemeinsam.

Das stille Leuchten des Eiffelturms

Nach Einbruch der Dunkelheit eilte ich zurück zum Eiffelturm, um das Spektakel zur vollen Stunde mitzuerleben. Fünf Minuten lang sorgen 20.000 Lampen für ein besonderes Funkeln. Angeblich kann sogar Ärger drohen, die Fotos vom schimmerenden Eiffelturm ungefragt zu veröffentlichen. Prophylaktisch halte ich die Aufnahmen zurück – und möglicherweise sollte an diesen Tagen das Wahrzeichen auch nur für die nicht so glamourösen Sternzeichen glitzern.