Es war einer dieser Tage, an denen ich versuchte, der tödlichen Langeweile durch endloses Scrollen und Wischen zu entkommen – so lange, bis doch einmal das Ende des Social-Media-Streams zu sehen war. Während ich mich also dem Strom der medialen Bilder hingab, nimmermüde irgendwelche Knöpfchen zu drücken und Links zu betätigen, tauchte zu meiner großen Überraschung eine Bleistiftzeichnung auf meinem Display auf. In der Horizontlinie der perspektivischen Zeichnung verlief eine Fabriksstadt. Aus allen Schornsteinen qualmte es. Links ein Gasometer, rechts ein Aussichtsturm. Das ist ja Wien, fuhr es mir sofort durch den Kopf.

Wald gezeichnet

Hohe Bauwerke, Bunker und Türme ragten in den Himmel. Jedes Fleckchen war verbaut. Indes hievten Baukräne weitere Betonteile auf bereits gebaute Gebäudekomplexe. Der Himmel war eine graue Suppe, was die Schwarz-Weiß-Zeichnung noch verstärkte. Von der Sonne keine Spur.

In der Mitte war ein riesiges Stadion zu erkennen. Die Ränge: voll besetzt. Hunderte, ja tausende Menschen waren gekommen, um dem Spektakel beizuwohnen. Gebannt starrten alle auf das Spielfeld.

Zwei Männer, sie befanden sich im vorderen Teil der Zeichnung, waren aufgestanden, um vermutlich einen noch besseren Blick erhaschen zu können. Fein zurecht gemacht trugen sie teure Anzüge, ja sogar vor Schlechtwetter waren sie gefeit – mit großem Regenschirm bewaffnet stand einer der Männer konzentriert auf den Betonstufen. Weitere Herrschaften saßen auf der Tribüne und blickten enthusiastisch Richtung Sportplatz. Ihre Lederjacken und legeren Hemden hatten Falten geworfen, vermutlich, weil sie schon lange so dasaßen. Denn was sich hier vor den Augen der Menschen abspielte, war faszinierend: Inmitten des Stadions stand ein Wald.

Wald entfacht

Jedenfalls stirbt die Natur farbenfroh, dachte ich, denn der Herbst hatte in der Zeichnung bunte Blätterfarben entfacht.[1]

Die Darstellung trägt den Titel: „Ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ und stammt von Max Peintner. Diese Zeichnung Max Peintners hatte ich heuer im Frühling zum ersten Mal gesehen. Und der Initiator Klaus Littmann wollte also diese dystopische Bleistiftzeichnung zum Leben erwecken. Dass diese Kunstinstallation gerade im Klagenfurter Wörthersee Stadion realisiert werden sollte, verblüffte mich ein wenig und zugleich musste ich schmunzeln. Die Kontroversen, die sich schon recht bald auch in Form von Kommentaren unter den Postings zeigten, verwunderten mich zu Beginn noch recht wenig – aber niemals hätte ich mir ausmalen können, was für ein Politikum sich noch auftun würde. 

Spätestens im Sommer wurde dann auch in meinem privaten Umfeld heftig diskutiert und Diskursfragmente sausten wie wild durch die Gegend.

Freilich gilt es kritisch zu betrachten, dass neben den 299 großen, ausgewachsenen Bäumen auch 18 Baumarten aus Italien, Belgien und Norddeutschland für das Projekt herangekarrt wurden, um den Kärntner Mischwald nachzuahmen. Ursprünglich sollte die Mischung der unterschiedlichen Baumspezies allesamt aus österreichischen Baumschulen kommen, aber daraus wurde nichts .[2] In der Regel benötigt jedes Kunstwerk Ressourcen, es stellt sich an dieser Stelle halt die Frage, ob es ausgesprochen hohe Belastungen sind, die die Kunst fordert, vielleicht sind es zwei blaue Augen mit denen For Forest davonkommt, ich weiß nicht.

Jedenfalls hätte Littmann keinen besseren Zeitpunkt finden können, um das zukunftspessimistische Szenario in die Realität umzusetzen, denn so weit weg ist diese Dystopie gar nicht mehr.

Wald verblasst

Besonders im Waldviertel setzen gerade lange Trockenperioden dem heimischen Wald dermaßen zu, dass ausgedorrte Bäume ein gefundenes Fressen für Borkenkäfer sind. Ist ein Baum betroffen, muss er schnellstmöglich weg, denn ufert der Borkenkäferbefall aus, dann droht dem Waldbesitzer der Kollateralschaden, sagen die Experten.

Laut Bundesforschungszentrum für Wald ist die Lage prekär![3] Die Populationsdichten bei den Fichtenborkenkäfern sind in den Borkenkäferschadensgebieten extrem hoch, heißt es auf deren Website.[4]

„Ich weiß nicht, ob meine Enkel und Urenkel noch einen Wald haben werden.“

Karl Theurer – Am Schauplatz ORF

Als sich schließlich Ende Oktober der Herbst ankündigt, mache ich mich nach Kärnten auf. Im Klagenfurter Stadion geht mir vieles durch den Kopf, allem voran meine Kindheit. Eine diffuse Sehnsucht nach dreckigen Gummistiefeln und kaputten Strumpfhosen, nach Baumhäusern, Löwenzahnkränzen, Ameisen ärgern, in den Bach plumpsen und Kommen und Gehen, wie es einem gefällt, macht sich breit – in meiner Wahrnehmung ist man als Waldkind glücklich(er). Aber morgen schon wird For Forest bereits zur vergessenen Vergangenheit und nicht mehr zur mahnenden Zukunft gehören. Und sehr wahrscheinlich kreieren die scrollenden und drückenden Finger auf meinem Display, dann schon wieder eine ganz andere Wirklichkeit – nur die Vorstellung, dass doch alles gut werden könnte, habe ich aktuell nicht.


[1] Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass der Kunstinitiator Littmann die Zeichnung nachkoloriert hatte.

[2] Wojciech, Czaja. 2019. „Im Wuchtelwald: 299 Bäume Bei „For Forest“ Im Wörthersee-Stadion – Derstandard.De“. DER STANDARD. https://www.derstandard.de/story/2000108316899/im-wuchtelwald-299-baeume-bei-for-forest-im-woerthersee-stadion.

[3] Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Austria. 2019. „Borkenkäfer April 2019 – BFW“. Bfw.Ac.At. https://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=10535

[4] Bewusst möchte ich an dieser Stelle verzichten numerisch-statistische Datenlagen anzuführen, um die Katastrophen-Semantik weiter zu befeuern. Weitere Informationen finden sich auf der zuvor angeführten Website.

Am Schauplatz – wenn der Wald stirbt:

Am Schauplatz ORF: https://tv.orf.at/program/orf2/20191003/877638401/story


Anmerkung: In diesem Blogartikel spiele ich absichtlich mit einem, nennen wir es: „Welt–Verleugnendem–Digitalisierungs-Ich“. Zu diesem Thema möchte ich folgenden Beitrag empfehlen:

Die Flucht ins Postfaktische. Von der Selbst-Verleugnung zur Welt-Verleugnung:

Christian, Ben. 2019. „Https://F.Hypotheses.Org/“. F.Hypotheses.Org. https://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/718/files/2019/10/20-Die-Flucht-ins-Postfaktische.pdf