„Sophia Vegas[1] macht Mami-Makeover: ‚Durch die Schwangerschaft ist einiges verrutscht‘“,[2] „Mehr Natürlichkeit: Gerda Lewis[3] plant neue Brust-OP“,[4] oder „Adeles[5] neuer Superbody: ‚Scheidungsfrust, neue Lebenslust?‘ oder doch Magersucht?“[6] – Headlines wie diese spiegeln das öffentliche Interesse an einer gesellschaftlichen Entwicklung in den Medien wider, die das Aussehen des Körpers zum Thema hat. Medien nehmen dabei eine wichtige Rolle ein, denn „die Körper von Frauen sind derzeit bevorzugte Arena der medialen Inszenierung sowie der alltagsweltlichen Aushandlung sozialer Normen“.[7] Schließlich zählt „der Besitz eines sexy Körpers“[8] zu den zentralen Weiblichkeitsmotiven in den heutigen Medien, der einerseits als „Quelle der Macht“ und anderseits als „inhärent widerständig präsentiert“[9] wird, so diagnostiziert die Sozial- und Kulturwissenschaftlerinnen Rosalind Gill, sowie McRobbie. Um den immer rigider werdenden Ansprüchen von Attraktivität oder akzeptabler Weiblichkeit schließlich nachkommen zu können, ist konstante Selbst-Überwachung, ständige Kontrolle, Disziplin(ierung) und Umgestaltung (sowie Konsum) erforderlich. Vermutlich zählt daher das Überwachen von Frauenkörpern, über Genres und Medienformate hinweg, zu den meistthematisierten Medieninhalten. Dabei werden die Körper von Frauen begutachtet, analysiert, seziert und bewertet – doch dabei bleibt immer gegenwärtig: die Gefahr des Scheiterns am eigenen Körper.[10]
Neben den bereits angeführten Beispielen sind es aber nicht nur prominente Frauen, deren Körper in den Medien zerpflückt werden, auch „normale“ Frauen sind nicht davon ausgenommen, wie Formate z. B. All About you – Das Fashion Duell[11] zeigen. Begutachtet werden Kleiderschrank, Haare, Körper, Persönlichkeit und Beziehungen. Ebenso wenig erschöpft sich das Beurteilen im sozialen Netzwerk, es analysiert und kommentiert die Zuschauer*innenschaft in „Echtzeit“, denn hier kann der Look detailliert geprüft, bewertet oder gleich gekauft werden.[12] Dermaplaning,[13] Flanking,[14] Tigh Gap,[15] Ab-Crack,[16] oder Bikini Bridge[17]: Der Regulierung von Frauen scheint eine schier endlose, marktkompatible Kreativitätsfabrik im Erfinden von Problemzonen zur Verfügung zu stehen.
Im Namen der Schönheit: Individualismus, Wahlfreiheit und Empowerment
Jedoch fungieren Medien nicht nur als „Schönheitsspiegel“, sondern, wie Andrea Seier deutlich macht, Medien sind „… konstitutiv für sämtliche Praktiken der Subjektvierung“[18] und haben „einen maßgeblichen Anteil an den ebenfalls historisch verändernden Selbstverhältnissen …“.[19] Aber gerade in Bezug auf die Problematisierung von Körpern verweist Seier auf weitere, neuere Denkrichtungen in der Gender- und Medienforschung: Gouvernementalitätsstudien und neuer Materialismus[20]. Beide Richtungen sehen das Subjektwerden und Körper als Grenzphänomene zwischen Eigenem und Anderen, die demnach auf einem prozesshaften, relationalen Denken basieren.[21]
„Sie unterscheiden sich dort, wo sich die Arbeiten der Governmentality Studies für Praktiken und Diskurse interessieren, die diesen Konstitutionsprozessen eine Ausrichtung geben, etwa im Sinne einer diskursivierten Optimierung oder Normalisierung, während sich die Arbeiten des New Materialism auf die Momente der De- und Reterritorialisierung innerhalb dieser Konstitutions- und Normalisierungsprozesse konzentrieren.“[22]
Dabei kommt medialen Dispositiven eine wichtige Funktion zu, denn sie sind nicht nur Schnittstelle von Relationalem und Wesenhaftem, sondern weisen zunächst arretierende Wirkungen auf. Sie legen fest, wie wir Körper wahrnehmen, verstehen, handhaben können. Diese Festlegungen – wie technische, ästhetische oder diskursive – sind wirksam, rufen im Gegenzug allerdings auch mikropolitische Widerstände auf den Plan.[23]
„Mit dieser Überlegung soll nicht für ein ausgewogenes Spiel gesellschaftlicher Kräfte argumentiert werden, sondern für anhaltende (diskurs-)politische Kämpfe, die nicht zum Abschluss kommen (können).“ [24]
Im Dokumentarfilm Schönheit trifft Carolin Schmitz Frauen sowie (wenige) Männer, die aus ihrem Körper ein Projekt machen, das regelmäßig bearbeitet, optimiert und transformiert wird: Schönheit spielt eine zentrale Rolle in ihrer Lebenswelt. In diesem Zusammenhang beschreibt Seier den Dokumentarfilm als „Kommentar auf die derzeitige Kopplung von Schönheit und Handlungsmacht, von Gouvernementalität und Geschlecht“.[25] Diese Kopplung möchte ich nun näher in den Blick nehmen. Aus diesem Grund greife ich auf mehrere theoretische Rahmungen als Ausgangspunkt zurück: Theorien der Gouvernementalität, des Postfeminismus, Mikropolitik der Medien sowie neuer Materialismus.
Neben übereinstimmenden und divergierenden Wahrnehmungen der vier Rahmungen steht allerdings die Frage im Vordergrund: Wie zeigt sich das Ineinandergreifen von Geschlechterdifferenz und gouvernementalen Formen an den Aspekten Individualismus, Wahlfreiheit und Empowerment im Dokumentarfilm Schönheit?[26]
Schönheit im direkten Blick
Der Dokumentarfilm Schönheit von Carolin Schmitz wurde auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestvial DOK Leipzig 2011 erstmals vorgestellt. Wie Seier in Mikropolitik der Medien argumentiert, widmet sich der Film vor allem der Janusköpfigkeit des Körpers: Dieser ist Ort der Ermächtigung einerseits sowie Unruhe und Widerständigkeit anderseits.[27]
Alle Personen, die Schmitz vor die Kamera holt, haben eines gemeinsam: Sie beschäftigen sich mit dem Thema Schönheitsoperationen. Porträtiert werden namenlose Menschen aus der deutschen Mittelschicht, aber auch Mediziner*innen, die die Eingriffe durchführen, kommen zu Wort und sprechen über die Möglichkeiten der ästhetischen Chirurgie. In einer Art Geständnisprozedur erklären die Menschen, die sich bereits für die Schönheit unter das Messer gelegt haben, ihre Beweggründe und warum das „Projekt Körper“ nie als gänzlich abgeschlossen gelten kann.
Einstellung 1: Minute 32 von 32:20
In der ersten Einstellung[28] präsentiert – vermutlich ein medizinischer Berater – seine Produktpalette: Der Mediziner verordnet nicht, er bietet an! In einer Halbnahaufnahme [29] platziert er im bürgerlichen Ambiente exakt verschiedenste Brustimplantate in unterschiedlichen Formen, Größen und Materialien. Neben Sekundärtugend – kein Fünkchen Staub ist zu sehen – fällt auf, dass nur ein einziges Geräusch zu vernehmen ist: das Klacken des Verschlusses vom Lederaktenkoffer. Ein Teil der wertvollen Ware ist nun ausgepackt, ein zweiter Koffer ist derweilen noch ungeöffnet und lässt weitere Schätze vermuten.[30] Wie gestrandete Quallen liegen die ersten Silikonkissen auf dem feinsäuberlich aufgeräumten, mahagonifarbenen Tisch. Im Hintergrund ist ein rundes Fenster zu erkennen. An dieser Stelle sticht die Lichtdramaturgie des Dokumentarfilms ins Auge, denn sehr helles Tageslicht dringt durch die kirchenähnlichen Fenster in das Innere des Musterzimmers: Die Biedermeierromantik wird durch einen sakralen Charakter erweitert.
Einstellung 2: Minute 32:21 bis 33:20
Nach einem harten Schnitt, der eine Zäsur bewirkt, folgt die nächste Einstellung. Die Mise en Scène zeigt nun einen rustikaleren Einrichtungsstil. Zwei Frauen sitzen frühstückend an einem Esstisch mit großer Eckbank im Landhausstil. Nur die Umrisse des Tisches sind zu erkennen, da das Möbel mittels großer, gemusterter Plastiktischdecke vor einem möglichen Fauxpas geschützt wird. Ein Teller mit Salami, ein Glas mit Nutella, Margarine, zwei Sorten Marmelade und ein Korb mit Weckerl sind zu erkennen, sowie zwei Kaffeehäferl, die offensichtlich mit den Jahren Einzug in den Küchenschrank gehalten haben. Für gemütliche Abende lässt sich das Licht dimmen, das verrät der Lichtschalter. Allerdings kommt diese Einstellung gerade mit natürlichem Licht aus, das von rechts, vermutlich durch ein Fenster, auf die Szenerie fällt. Für die Relation zwischen der Kamera und den Abgebildeten, zwischen dem Zuschauerblick und dem Gezeigten, wurde eine Nahaufnahme gewählt, die die Protagonistinnen von Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers zeigt. Diese Kameraeinstellung wird vorzugsweise für das Zeigen von Diskussionen und Gesprächen benutzt.[31] Und tatsächlich diskutieren die beiden Frauen gerade über Schönheitsoperationen. Die Kamera nimmt dabei eine Beobachterposition ein, die Zuschauer*innen befinden sich außerhalb des Gesprächs – sie sind quasi unsichtbare Beobachter*innen. Eine der beiden Frauen schildert ihren persönlichen Weg zur Brustkorrektur und wie sich ihre Wünsche in Bezug auf Größe und Form der Brust über die Jahre verändert haben. Wiederkehrende Begutachtung, Überprüfung und Kontrolle: Das Selbstverhältnis verändert sich und wenn etwas „gerichtet“ werden muss, kostet das natürlich – in etwa den Preis eines Kleinwagens.
Einstellung 3: Minute 33:21 bis 33:33
Wieder folgt ein harter Schnitt. Eine der zuvor porträtierten Frauen ist in Begleitung ihres Sohnes und Hundes im Freien. Zunächst werden die Protagonisten als Rückenfiguren beim gemeinsamen Spaziergang gezeigt. Für die beiden vorhergehenden Einstellungen war eine statische Kamera im Einsatz, jetzt kommt Bewegung ins Spiel. Um den Eindruck von mobilen Beobachter*innen zu erzeugen, wird mittels Handkamera gefilmt. Die Personen bewegen sich auf die Kamera zu, während nun auch die zweite der vorhergehenden Erzählerinnen ihre Beweggründe für einen chirurgischen Eingriff schildert. Die Regisseurin wählt die Amerikanische. Für die aus dem Western-Genre entwickelte Einstellungsgröße ist entscheidend, dass nicht nur das angespannte Gesicht zu sehen ist, sondern auch, wie die Hand zum Revolver greift, um den entscheidenden Schuss abzufeuern: Show down.[32] Die Protagonistin trägt keinen Revolver, sondern hält ihren Sohn an der Hand, doch feuert sie scharf: Es wäre ihre alleinige Entscheidung gewesen, sich operieren zu lassen und es sei in ihren Augen schlimm, wenn sich Frauen für ihre Männer unters Messer legen – sei es der Partner oder womöglich der eigenen Chef. „Es ist mein Körper, es war mein Körper, und es wird immer mein Körper bleiben, daher finde ich es wichtig, dass man es für sich selbst macht und da auch keiner reinredet“, bekräftigt sie.[33] Der junge Sohn, der vor der Kamera dann zwar doch von Zeit zu Zeit mal (d)reinredet, scheint die Mutter nicht zu irritieren, denn mit direktem Blick in die Kamera wiederholt sie: Reinreden sollte einem da keiner!
Einstellung 4: Minute 33:34 bis 36:17
Wiederum erfolgt ein harter Cut: Die Szene wechselt erneut ins Biedermeierambiente. Der medizinische Berater klappt den letzten Koffer zu, legt ihn beiseite und beginnt zu sprechen. Sein Blick ist direkt in die Kamera gerichtet, bzw. soll es ein auf die Betrachter*innen gerichteter Blick sein. Diese Blickansprache wirkt illusionsbrechend und arbeitet mit Authentizitätseffekt, ansonsten haben sich aber weder die Position der Kamera, das Licht oder die Einstellungsgröße im Vergleich zu Einstellung 1 verändert. Drei Silikonkissen werden für die bessere Veranschaulichung auf Plexiglas-Etageren separiert und dienen der nüchternen Demonstration von Form, Funktion und Größe. Zugleich wird der autorisierte Berater mit dem glatten, sauberen, ästhetisierenden Produkt-Kitt zusammengeführt, als Repräsentant einer wunscherfüllenden, maßgeschneiderten Medizin.
Einstellung 5: Minute 36:18 bis 39:59
Wieder ein harter Schnitt, um die nächste Sequenz einzuleiten. Die Protagonistin aus Einstellung 1 und 3 befindet sich nun in der Küche, um das Mittagessen vorzubereiten. Zunächst impft sie das Faschierte mit einer ordentlichen Dosis Maggie-Würze. Danach folgt die direkte Kommunikation in die Kamera, was eine Nahaufnahme unterstützt. Beim Schälen von Kartoffeln und beim Formen von faschierten Laibchen, beschreibt sie ihr Internetforum mit zweieinhalbtausend User*innen. Dieses Forum dient zum Austausch für sämtliche Fragen rund um das Thema Brust-OP – digital, aber auch analog.
„Ich finde es sehr wichtig, diese Informationen und das Wissen, das ich mittlerweile habe, zu transportierten, sei es über OP-Techniken, über Ärzte, über Kosten oder Schnitttechniken: Es gibt tausende Dinge, die man wissen sollte, bevor man sich einer OP unterzieht“.[34]
Gleich mehrmals pro Jahr finden sogenannte Sister-Treffen statt, bei denen sich Frauen, ganz nach dem Motto Show and Tell, gegenseitig begutachten, abtasten sowie beraten. „Bei uns kannst du sehen, anfassen, kneten, fühlen, quetschen, Narben mal live sehen und eine Brust begutachten, die bereits ein bis zwei Jahre alt ist“,[35] empfiehlt sie, während sie weiter an den Fleischlaibchen formt, die jetzt auch irgendwie an Silikonkissen erinnern.
Einstellung 6: Minute 40:00 bis 41:37
Es folgt die nächste Einstellung – wie gewohnt mit hartem Schnitt. Erneut wird eine Protagonistin in einer häuslichen Situation gefilmt: vermutlich im Vorzimmer. Ein Adressbuch, ein Terminplaner, ein Aschenbecher und eine Packung Zigaretten liegen vor ihr auf dem Tisch. Sie hat sich eine Zigarette angezündet, während sie das Smartphone ans Ohr hält und wartet bis ihr Anruf angenommen wird, das gibt die Nahaufnahme frei. Nach einer kurzen telefonischen Plauderei mit dem „Dottore“ geht es sofort zurück an die Arbeit: Die perfekte Abstimmung ästhetischer und organisatorischer Elemente bildet für zwei Freundinnen die Basis, sich schon bald auch als „vollwertige“ Frauen fühlen dürfen. Die Protagonistin wandelt jedoch in einem widersprüchlichen Spannungsfeld: Sie figuriert selbst zwischen Patientin, Kundin und Konsumentin,[36] aber auch als PR-Agentin, Vermittlerin und Managerin.
Einstellung 7: Minute 41:38 bis 43:54
Cut – Fotos mit unterschiedlichsten, überlebensgroßen weiblichen Brüsten: Vor dieser Fotoleinwand ist die Gründerin des Internetforums in einer Halbtotalen zu sehen. Sie erläutert Form, Größe und Operationstechnik anhand von Brustfotos, die alle aus dem Forum new-silicon stammen.[37] Die Dramaturgie des Lichts ist, wie fast im gesamten Film, High-Key-Stil, also eine sehr helle Ausleuchtung. Grundsätzlich erzeugt dieser Lichtstil eine Grundstimmung aus Hoffnung, Zuversicht, Glück und Problemlosigkeit.[38] Die Erörterung vor der Fotowand, die die Unterschiede zwischen „klassischer Brustvergrößerung“, „Bruststraffung mit Vergrößerung inklusive Komplikation“ und einer „Traumbrust“ verdeutlicht, wirkt dann tatsächlich wie ins rechte Licht gerückt, denn scheinbar ist das vermeidbare Risiko nun einmal eng an das „richtige“ Wissen der mündigen Patientin geknüpft.[39]
Einstellung 7: Minute 43:55 bis 48:48
Im Grunde beinhalten die nächsten Minuten mehrere Einstellungen, die unter diesem Punkt kurz zusammengefasst werden. Üblicherweise leitet jeweils eine Zäsur die Filmszenen ein. Zunächst werkeln zwei Männer im Vorgarten, es geht um das saubere Ausrollen eines Bodenbelags. Und schon wird in der nächsten Sequenz ein langer, roter Teppich akkurat mit dem großen Staubsauger von letztem Schmutz befreit. Steht ein besonderer Anlass bevor? Der nächste Schnitt überführt ins Innere des Hauses. Bei Weingläsern, Hummergabeln und Eis geht das Tüfteln weiter – und wirklich wird ein rauschendes Fest vorbereitet. Nicht zuletzt verraten es künstliche Meerestiere auf weiß gedeckten Tafeln: Der Hausherr schmeißt eine exklusive Hummerparty in seiner Gartenloge. In der nächsten Einstellung erklärt er, dass er sich einer Lidkorrektur sowie einer Tränensackentfernung unterzogen hat. „Die Wirkung ist einfach strahlender, offener und das ist man nicht anderen, sondern sich selber schuldig“, erklärt er. Die Sequenz endet damit, dass er letzte Hand anlegt: Frisch, glatt und sauber muss alles sein, nicht nur die Räumlichkeiten, der Rasen oder der Partygeber.
Fazit
Zusammenfassend wäre festzuhalten, dass der Dokumentarfilm Schönheit einer Medienanalyse unterzogen wurde. Formen von Individualismus, Wahlfreiheit und Empowerment standen hierbei im Fokus, die ich abschließend näher in den Blick nehmen möchte.
In Einstellung eins (sowie deren Fortführung in Einstellung vier) zeigt sich ein Dispositiv nicht nur im Diskurs, im Wissen, oder in der Sprache, sondern insbesondere in der Macht der Körpergestik – genauer: des Verhaltens. Der medizinische Berater präsentiert eine gut sortierte Auswahl an Produkten. Dabei wird kenntlich, dass es sich um ein marktorientiertes Verkaufen handelt. Seien es Gesten, Gesichtsausdruck oder Augenbewegungen: Es wird zielgerichtet kommuniziert. Durch die gesamte Kommunikation zieht sich eine „Grammatik des Individualismus“[40]: Die Kund*innen sind autonom und können frei entscheiden, ja sogar auswählen, in bzw. mit welcher Form sie ihr Körperteil verbessern möchten. Besonders deutlich werden an dieser Stelle Prozesse der Aneignung und Auslieferung – als Signa dieser Medizin: heilig, heilsam, heilbar.
In der zweiten Einstellung ist interessant, dass dem Körper einerseits eine ständige Überwachung zuteil wird. Anderseits wird auch die Selbstbestimmung deutlich, verstanden als eine Entscheidungsfreiheit, die weniger durch die ökonomische Konsum- bzw. Dienstleistungsnorm gerahmt ist, als vielmehr einer normativen Ausrichtung des individuellen Ausdrucks zuzuschreiben ist, die der ausdrücklichen Selbstermächtigung, des Empowerments. Die Körperarbeit ist hier gewissermaßen mit einer eigenen, individuellen Biografie verknüpft. Inwieweit die Medien hier formierend produktiv waren, lässt sich nicht detailliert feststellen. Vor diesem Hintergrund könnte man jedoch forschungspraktisch fragen: Inwiefern haben Medien in der Wahrnehmung der „optimalen Größe der weiblichen Brust“ beigetragen? Oder welche Veränderungen haben die Wahrnehmung des Natürlichen durch die Medien geprägt? Jedenfalls entspricht der Duktus weniger dem einer Optimierung, sondern mehr dem des scheiternden Körpers, der damit aus Gründen der Leidensverminderung und „Normalisierung“ einer Problembeseitigung unterzogen werden muss – u. a. verstehen die beiden Frauen dies als Legitimation für Operationen z. B. im Intimbereich.
In der fünften Einstellung kristallisiert sich heraus, dass im Internetforum – neben Wissensaustausch – eine ebenso starke Konzentration auf der visuellen Darstellung von Körpern liegt. Besonders verdeutlicht dies auch Einstellung sieben. Die Fotos resp. Abbildungen von weiblichen Brüsten, die im Forum „ausgetauscht“ werden, könnten einen Hinweis auf veränderte Plausibilitäten in der Transformation von Körperwahrnehmung geben, die sich als ein entsprechender Sensibilisator, sich auch körperlich anders darstellen zu wollen, konstituieren bzw. einen Normalisierungseffekt haben. Neben der medialen Form offenbart sich das Internetforum als ein Ort, der zwischen Elementar-, Spezial- und Interdiskurs oszilliert. Darüber hinaus betont die Einstellung sieben, dass die Forengründerin bereits eine Sprecherinnenposition für ästhetische Chirurgie eingenommen hat, in deren Zentrum nicht nur die Wissensvermittlung, sondern gleichzeitig auch die Anrufung hegemonialer Schönheitsideale steht. Die Individualität besteht hierbei darin, dass die Forengründerin sich selbst als eine Art Hub für den Wissenstransfer versteht – sie kann ohne das Forum nicht mehr leben – wie sie selbst sagt. Besonders an dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Wer regiert hier wen?
Die sechste Einstellung kennzeichnet, dass die eigentliche Patientin als informierte Managerin auftritt, was sich ebenfalls als idealtypisches Beispiel neoliberaler Rhetoriken von Wahlfreiheit und Empowerment lesen lässt. Selbiges gilt für die letzte Einstellung, in der dieselbe Rhetorik in Form der Autorität der eigenen Entscheidung betont wird, alles unter der Maske des Wohlbefindens, was so viel bedeutet wie: Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Aber im Besonderen wird in dieser Szene auch die Reflexion von Selbst- und Weltverhältnissen aufgegriffen.[44]
Durch die Analyse wird deutlich, dass der Film Schönheit formal mit arrangierten Aufnahmen arbeitet, ganz besonders tritt dies z. B. anhand der Gesprächssituation der beiden Frauen oder die artifizielle Lichtdramaturgie zutage. Im Vergleich zum angeführten Beispiel All About You – Das Fashion Duell spart der Film allerdings jedwede Kommentierung aus. In der Selbstauskunft der Erzählenden wird klar, dass sie als informierte Patient*innen, Kund*innen sowie Konsument*innen Subjektpositionen mitformen und sie in weiterer Folge als Sprecher*innen, Vermittler*innen oder Manager*innen etc. sogar mit hervorbringen – nicht zuletzt wird die beschriebene Arretierung seitens der Medien deutlich, wie z. B. in Internetforen oder Fotografien. Ferner wird ersichtlich, dass es sich dabei um ein Zusammenspiel mit offenem Ende handelt und auch die Verfahren der Regisseurin – wie etwa die eingesetzten filmästhetischen Mittel – „… an dieser Ver- und Entkörperungsprozedur, die Prozesse der Aneignung und Auslieferung, der Verwerfung und Wertschätzung mit einschließt“ mitarbeiten.[45]
Persönliche Anmerkung: ein sehr sehens- und empfehlenswerter Dokumentarfilm!
Titelbild (c) Schönheit – Carolin Schmitz – Pressefoto https://filme.kinofreund.com/f/schoenheit
[1] Sophia Vegas ist eine deutsche Reality-TV-Teilnehmerin. 2016 war sie in der zehnten Staffel von Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! Im August 2018 war sie Teilnehmerin von Promi Big Brother auf SAT 1; Pro Sieben, „ProSieben Star Datenbank“, ProSieben, o. A., https://www.prosieben.at/stars/star-datenbank/sophia-wollersheim, 05. 01. 2020.
[2] Stern.de, „Stern Lifestyle Leute“, stern.de Lifestyle, 02. 01. 2020., https://www.stern.de/lifestyle/leute/sophia-vegas-macht-mami-makeover—durch-die-schwangerschaft-ist-einiges-verrutscht–9070934.html, 05. 01. 2020.
[3] Gerda Lewis wurde durch ihre Teilnahme an der 13. Staffel der Castingshow Germany’s Next Topmodel bekannt. 2019 war Lewis im Mittelpunkt der sechsten Staffel der Fernsehshow Die Bachelorette; RTL.de, „RTL Themen und Personen“, RTL, o. A. https://www.rtl.de/themen/personen/gerda-lewis-t11111.html, 05. 01. 2020.
[4] Ann-Kathrin Schöll, „Mehr Natürlichkeit: Gerda Lewis plant neue BrustOP“, gofeminin, 01. 09. 2019, https://www.gofeminin.de/aktuelles/gerda-lewis-nachste-brust-op-s4004183.html, 05. 10. 2020.
[5] Adele Laurie Blue Adkins, besser bekannt als Adele, ist eine britische Pop-, Soul-, Jazz- und R&B-Sängerin sowie Songwriterin; IMDb, „Adele“ IDMb, o. A., https://www.imdb.com/name/nm2233157/, 11. 01. 2020.
[6] Julia Middendorf, “Adele’s neuer Superbody: ‚Scheidungsfrust, neue Lebenslust?‘oder doch Magersucht?“ Promiwood Internationale Stars, 07. 01. 2020, https://promiwood.de/news/adele/adeles-neuer-superbody-scheidungsfrust-oder-neue-lebenslust-oder-doch-magersucht/, 11. 01. 2020.
[7] Angela McRobbie, Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Wiesbaden: VS 2010, S. 12.
[8] Rosalind Gill, „Weiblichkeit als körperliche Eigenschaft“, Gender & Medien-Reader, hg. v. Kathrin Peters/ Andrea Seier, Zürich/Berlin: diaphanes 2016, hier S. 543.
[9] Ebd.
[10] Ebd.
[11] ProSieben, „ProSieben All About You – Das Fashion Duell“ ProSieben Fashion Duell, o. A.,https://www.prosieben.at/tv/all-about-you-das-fashion-duell, 06. 01. 2020.
[12] About you, 08. 06. 2019, Facebook: https://www.facebook.com/aboutyoude/photos/a.699539596758378/2331522626893392/?type=3, 06. 01. 2020.
[13] Dermaplaning: Frauen unterziehen sich einer Gesichtsrasur mit dem Skalpell, um den kaum sichtbaren Flaum zu entfernen; Maria Zelenko, „Warum sich Frauen das gesamte Gesicht rasieren“, Kurier Style, 25. 08. 2017, https://kurier.at/style/dermaplaning-warum-sich-frauen-jetzt-das-gesicht-rasieren/282.382.878, 11. 01. 2020.
[14] Flanking: Man lässt die Socken weg und zeigt die Fußknöchel – selbst bei kalten Temperaturen. Für schlanke Fesseln wird Fett abgesaugt; O. A., „Die verrückten Beauty-Trends aus Hollywood“ Gala Beauty Fashion, 14. 11. 2018, https://www.gala.de/beauty-fashion/beauty/schoenheitstrends–die-verrueckten-beauty-trends-aus-hollywood-21852342.html, 11. 01. 2020.
[15] Tigh Gap: Lücke zwischen den Oberschenkeln; Julia Maria Grass, „Dieses Foto zeigt fragwürdige Körpertrends“, Welt.de, 17. 08. 2016, https://www.welt.de/vermischtes/article157713223/Dieses-Foto-zeigt-fragwuerdige-Koerpertrends.html, 11. 01. 2020.
[16] Ab Crack (Linea Alba): man spricht dabei von der Einkerbung vom Brustbein bis zum Bauchnabel; O. A., „Diesem absurden Körperkult wird jetzt nachgeeifert“, Kurier Wellness, 06. 07. 2016, https://kurier.at/wellness/abcracks-diesem-absurden-koerpertrend-wird-jetzt-nachgeeifert/208.094.033, 11. 01. 2020.
[17] Bikini Bridge: es wird so lange trainiert, bis die Bikinihose im Liegen noch Luft über dem Bauch hat; Grass, „Dieses Foto zeigt fragwürdige Körpertrends“, 11. 01. 2020.
[18] Andrea Seier, Mikropolitik der Medien. Kaleidogramme Bd. 173, Berlin: Kadmos 2019, S. 42.
[19] Seier, Mikropolitik der Medien, S. 43.
[20] Vgl. Andrea Seier, „Entkörperung/Verkörperung. Neuere Ansätze des Körper-Denkens in Film- und Medienwissenschaft“, Körper/Denken. Wissen und Geschlecht in Musik, Theater, Film, hg. v. Andrea Ellmeier / Doris Ingrisch / Claudia Walkensteiner-Preschl, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2016, S. 17–32, hier S. 17.
[21] Vlg. Seier, „Entkörperung/Verkörperung“, S. 24.
[22] Ebd.
[23] Vgl, ebd. S. 24.
[24] Ebd. S. 24.
[25] Seier, Mikropolitik der Medien, S. 15.
[26] Die angeführten Aspekte gehen weitgehend auf die Arbeiten von Rosalind Gill und Angela McRobbie zurück; a. a. O., S. 175.
[27] Vgl. Seier, Mikropolitik der Medien, S. 176.
[28] „Schönheit“, R.: Carolin Schmitz, youtube.com, 08. 04. 2018, https://www.youtube.com/watch?v=uLMw2YcWtHw, 10. 01. 2020. Minute: 32.
[29] Vgl. Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 52012, S. 58.
[30] Auf einem der Produktkoffer war der Schriftzug EurosiliconeTM zu lesen. Die Marke EurosiliconeTM gehört zum Unternehmen GC AestheticsTM. Laut eigenem Produktfolder gehört die Firma zu einem der führenden Unternehmen im Bereich der ästhetischen Medizinprodukte. Interessant ist die Kommunikationsbotschaft: „Ihr Körper, Ihre Entscheidung.“, Patientenbroschüre „GC AestheticsTM“, 2016, Link: https://cutt.ly/hrg5pbP
[31] Vgl. Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 58.
[32] Vgl. a. a. O., S. 57.
[33] „Schönheit“, R.: Carolin Schmitz, youtube.com, 08. 04. 2018, https://www.youtube.com/watch?v=uLMw2YcWtHw, 10. 01. 2020.
[34] A. a. O., Minute: 38:40.
[35] A. a. O., Minute: 38:06.
[36] Vgl. Anna-Katharina Meßner, Überschüssiges Gewebe. Intimchirurgie zwischen Ästhetisierung und Medikalisierung, Wiesbaden: Springer 2017, S. 240.
[37] Aktuelle Recherchen ergaben, dass das Forum gewechselt hat und nun porta-estetica heißt; Porta Estetica, Porta Estetica. Das Schönheitsportal, http://porta-estetica.de/forum-pe/, 12. 01. 2020.
[38] Vgl. Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 78.
[39] Vgl. Anja Dieterich, Eigenverantwortlich, informiert und anspruchsvoll …: der Diskurs um den mündigen Patienten aus ärztlicher Sicht. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung GmbH (Discussion Papers / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsschwerpunkt Bildung, Arbeit und Lebenschancen, Forschungsgruppe Public Health 2006-310), https://econpapers.repec.org/paper/zbwwzbhea/spi2006310.htm, S. 48; vgl. Anna-Katharina Meßner, Überschüssiges Gewebe. Intimchirurgie zwischen Ästhetisierung und Medikalisierung, Wiesbaden: Springer 2017, S. 220.
[40] Rosalind Gill, „Weiblichkeit als körperliche Eigenschaft“, S. 547.
[41] Ebd.
[42] Vgl. ebd.
[43] Vgl. Seier, „Entkörperung/Verkörperung“, S. 26.
[44] Vgl. Seier, Mikropolitik der Medien, S. 184.
[45] Seier, „Entkörperung/Verkörperung“, S. 27.