Kurzgeschichte zu einem Wikipedia-Zufallsartikel: Terzan 5 – https://de.wikipedia.org/wiki/Terzan_5
„Hast du das Teleskop überprüft?“, fragte der Professor nach einer Weile. „Ich bin gleich soweit“, murmelte der Student mürrisch. Der Akademiker hatte die Stirn in Falten gelegt und blätterte weiter in den Journalen. Henri zuckte zusammen. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen, freilich nur so lange, wie er sich sicher sein konnte, vom Universitätslehrer nicht beobachtet zu werden. Denn der Ordinarius hatte wieder angefangen, die Nase hochzuziehen. Jedes einzelne Mal, wenn er in Gedanken versunken war, schniefte er. „Seit vielen Monaten studieren wir nun Tag für Tag Fotoplatten, Logbücher und Notizen“, sinnierte der Studios. „Ich ertrage seine Blasgeräusche langsam nicht mehr!“ Der junge Mann sah geknickt aus. Er dachte an seine Freunde, die sich aller Wahrscheinlichkeit schon am frühen Morgen am kühlen Nass erfreuten. Wohingegen er ganze Tage und Nächte hier verbrachte, um zu diskutieren, ob es sich bei Terzan 5 um ein Überbleibsel einer im Anfangsstadium unserer Milchstraße eingefangenen Zwerggalaxie handle oder nicht. „Wie absurd anzunehmen, dass er den Hochschullehrer dazu bringen könnte, ernsthaft über seine Hypothesen nachzudenken!“ Er fühlte sich müde und erschöpft. „Bisher hatte der Universitätsprofessor nicht annähernd seine Forschungsüberlegungen näher in Betracht gezogen. „Beeindruckend!“ flötete der Professor und riss Henri dabei aus den Gedanken. „Sie sind ja heute schrecklich still“. Der Student versuchte zu lächeln. „Haben Sie gerade über den Kugelsternhaufen nachgedacht?“, erkundigte sich der Universitätsprofessor. „Wieso fragen Sie?“, antwortete Henri, während er das Teleskop weiter kontrollierte. „Können Sie etwa an andere Dinge denken?“ Der Professor zog verwundert eine Augenbraue nach oben. „Ich für meinen Teil habe mir Ihre Aufzeichnungen nochmals angesehen“, posaunte er. „Sie sind nicht übel, außer wenn man bedenkt, dass Sie nicht miteinbezogen haben …“. Für einen kurzen Moment unterbrach der Akademiker die Unterhaltung und starrte auf die Notizen. Henri hantierte weiterhin am Teleskop und hing seinen Gedanken nach. Ihm war ganz und gar entgangen, dass sein Ordinarius mitten im Satz innehielt. Obwohl der Wissenschaftler inzwischen zügig weitersprach, war Henri gedanklich wieder am Badesee. Er musste sich auf anderes konzentrieren, er hielt die Geräusche, die die Atemnot des Alten verursachte, schlicht und einfach nicht mehr aus. „Sollen wir heute länger bleiben und das Teleskop auf den Sonnenaufgang richten?“, schlug der Professor vor. „Um Himmels willen, dann komme ich erst recht nicht nach Hause“, fuhr es Henri durch den Kopf. Was sollte er machen? Seinem Prof einen Korb geben? Wobei, wer würde daheim auf ihn warten? Seine Freunde hatten ihn seit Wochen nicht mehr gefragt, ob er mit ihnen an den See wolle. Andernteils waren diese furchtbaren Rachenlaute unerträglich geworden. Henri biss die Zähne zusammen und sagte ausgelaugt: „Ja, warum nicht, ich möchte gerne wieder mal die Sonne beobachten“. „Wunderbar“, erwiderte der Gelehrte. „Haben Sie alles fertig?“ Der Student prüfte abermals die Einstellungen und schwenkte das Fernrohr Richtung Himmelskörper. „Sie wissen“, mahnte der Alte, „die Sonnenfilter sind meine Angelegenheit“. Henri verdrehte die Augen, was sein Hochschullehrer nicht sehen konnte, da sich sein Schützling dabei geschickt weggedreht hatte. Zum wiederholten Male schniefte der Professor kräftig erwartungsgemäß, als er die Filter in Augenschein nahm. Henri standen endgültig alle Haare zu Berge. „Wenn er das weiterhin macht, muss ich ihn erwürgen“, durchfuhr es Henri. „Alsdann“, meinte der Prof zufrieden. „Sind sie bereit?“
An der Tür war ein zartes Klopfgeräusch hören. Einer der Männer sagte gelassen: „Sie können ruhig reinkommen“. Die Haushälterin trat ein. Sie hielt ein Tablett mit einer Tasse Tee plus englische Kekse in ihrer linken Hand, in der rechten die Morgenzeitung. Henri bewegte sich behutsam tastend in ihre Richtung. „Soll ich Ihnen Ihren Stock bringen?“, fragte sie besorgt. „Nein ist schon gut, hierbei brauch ich kein Augenlicht, ich muss einzig dem Duft Ihrer göttlichen Kekse folgen“, scherzte er. Ihre Wangen wurden rot und verlegen, sagte sie: “Der Professor ist in der Zeitung, soll ich es Ihnen vorlesen?“ „Ach!“, rief sie jählings: „Ich habe Sie gar nicht bemerkt!“ „Ja“, antworte ihr der alte Wissenschaftler aus dem hinteren Teil des Zimmers und fügte hinzu: „Wir beabsichtigen, den Sonnaufgang anzusehen.“ Für einen Moment lang war die gute Seele des Hauses damit beschäftigt abzuwägen, was sie darauf erwidern könnte, da durchbrach Henri mit trockener Stimme die Stille: „Professor, vergessen Sie dabei die Sonnenfilter nicht.“