Methodenreflexion und Medienethnografische Dokumentation zur Methode des Flanierens

1.     Einleitung

Im ersten Teil meines Projekts widmete ich mich im Areal Schloss Schönbrunn einer Praxis des Gehens, genauer: des Flanierens. Anhand einer erstellten Landkarte verlegte ich das Flanieren jedoch in den Cyberspace und machte meinen Stadtrundgang so auch Kolleg*innen zugänglich. Ein Kollege erkundete meine Kartografie virtuell und konstatierte, dass ihm „dieses Schönbrunn“ völlig unbekannt vorkomme, obwohl er zuvor schon mehrmals im Areal gewesen wäre – er hatte sich verirrt. Meist ist der erste Gedanke an dieses Gebiet eng mit dem imperialen Schloss, den beeindruckenden Brunnen, Statuen und Denkmälern sowie den obligatorischen Touristenmassen verknüpft ist. Diese Location scheint zunächst also sogar unpassend für die Flâneuse oder den Flâneur zu sein, insofern ihre*seine Streifzüge durch die Stadt sich durch nicht zielgerichtetes Gehen auszeichnen und eher an ein beobachtendes, urbanes Spektakel gebunden sind. Damit nutzt der*die zuweilen teilnahmslose*r Chronist*in, die halb öffentlichen bzw. halb privaten Räume wie Cafés, Boulevards oder Arkaden für seine*ihre zahlreichen Stimuli des urbanen Daseins[1], weniger die Natur wie die bürgerlichen Spaziergänger*innen.[2] Die Voraussetzungen zum Flanieren scheinen in Schönbrunn also nicht ganz gegeben zu sein und genauso stellt eine penibel geplante Route des Flanierens einen Widerspruch in sich dar. Auf den zweiten Blick jedenfalls entpuppt sich das Areal als ein Gebiet, in dem es unbekannte Plätze gibt, die oft erst entdeckt werden wollen und für Ver(w)irrungen sorgen können. Möchte man Walter Benjamin Glauben schenken, der schreibt: „Die Stadt ist die Realisierung des alten Menschheitstraumes vom Labyrinth. Dieser Realität geht, ohne es zu wissen, der Flaneur nach“,[3] dann könnte man einräumen, dass das Verirren dem Flanieren entgegenkommt. Für den Kultur- und Sozialforscher Siegfried Saerberg besteht im Verirren die Verbrüderung des Blindseins: „Ihm, dem Verirren – dies ist nicht zynisch gemeint – ist das Blindsein sehr verbrüdert.“[4] Das lässt mich hellhörig werden. Resultiert nicht daraus, dass aufmerksames Hören – so wie das Beobachten – ebenfalls zum urbanen Spektakel der Flâneursgestalt gehört? Jedenfalls sind in Schönbrunn viele Geräusche zu vernehmen, beispielsweise menschliche Stimmen, die das Bestaunen der Denkmäler kommentieren, oder die Laute von Tieren, die aus dem Zoo weit über das Areal getragen werden, Lautsprecherdurchsagen und der Fahrzeuglärm der angrenzenden Straßen. Oder bedeuten aufmerksam hörende Flâneur-Figuren bloß erneuten Widerspruch? Schließlich gehört das Schauen dem Flanieren fast schon wesensmäßig an. Gerade die ersten Flâneusen bzw. Flâneure, auch bezeichnet als Dandys, spielten mit der Dialektik des Sehens und des Gesehenwerdens und akzentuierten vor allem das Zur-Schau-Stellen, beispielsweise durch ihre materielle Unabhängigkeit.[5] Somit lässt sich tatsächlich innerhalb der flaneurtypischen Fülle an beschriebenen Eindrücken eine visuelle Dominanz verzeichnen. Demgegenüber bringt es Saerberg deutlich auf den Punkt, wenn er schreibt: „[…] Alltagssituationen präsentieren Praktiken sensorischer Vielfalt, von denen Hören eine ist, in unterschiedlichen medialen Aggregatzuständen und Konfigurationen“.[6] Angesichts dessen erscheint es mir lohnenswert, dieser Übung nicht nur mit einem geschärften Blick, sondern ebenso mit aufmerksamem Hören zu begegnen. In der Praxis des Gehens möchte ich beides Erforschen und eine Annäherung an eine multi-sited-ethnography schaffen, die es erlaubt, verschiedene Perspektiven – die des Sehens, aber auch die des Hörens – nebeneinanderzulegen und damit mögliche Differenzen unter diesen auszumachen.  

Entsprechend durchläuft diese Arbeit mehrere Schritte:

  1. Die Feldarbeit basierend auf der Methode des Flanierens zur Dokumentation der Klangtopografie und visuellen Kartografie im Areal Schönbrunn. Diese Feldarbeit unterteilt sich in folgende Schritte:
    1. Feld 1 (Teil der bereits vorangegangenen Arbeit): Festlegung des Settings in Form einer virtuellen Karte sowie digitale Aufbereitung und fotografische Dokumentation einzelner Wegpunkte mithilfe jeweils eines zentralen Fotos zu Merkmalen des Flanierens.
    1. Feld 2 (Teil dieser Arbeit): Dokumentation des auditiven Spektrums anhand der soeben erwähnten Karte sowie Gewinnung von weiterer Empirie durch die autobiografische Perspektive.
  • Gesammeltes Material wird der bereits erstellten Karte aus dem ersten Teil des Projekts als kartografischer Ansatz eines komprimierten Audiowalks hinzugefügt, bei dem die gesammelten textlichen, visuellen und klanglichen Daten innerhalb dieser interaktiven digitalen Umgebung kombiniert werden. Dies wird im Nachfolgenden im How-to-Teil beschrieben.
  • Kondensation als ein autoethnografisches, auf sensorisches Erleben fokussiertes Erzählen, das Bild und Ton vergleicht anhand eines Beispiels (im Sinne einer „dichten Beschreibung“).[7]

Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der theoretischen Rahmung der Arbeit werde ich also in einem weiteren Schritt meine Überlegungen zum methodischen Umgang mit dem Material darlegen. Hierfür kommt die Methode der Autoethnografie zum Einsatz. Anhand eines How-to-Teils fasse ich meine Datensammlung zusammen. Im Anschluss erfolgt das retrospektive Schreiben. Als Datenbasis dienen mir die Fotos (aus dem ersten Teil des Projekts), Audioaufnahmen (der zweite Teil des Projekts), die virtuelle Landkarte und persönliche Aufzeichnungen. Ziel ist es somit, ein textliches Kondensat basierend auf dem sensorischen Erleben als ein fokussiertes Erzählen zu bilden, das Bild und Ton neben einander stellt. Hierfür werde ich beispielhaft einen örtlichen Spot anführen, den ich als besonders bedeutsam erachte.

2.     Theoretische Rahmung – Flanieren

Die Figur der Flâneuse respektive des Flâneurs gehört zum festen Repertoire der Großstadt im 19. Jahrhundert, doch auch in unserer heutigen Gegenwart ist Flanieren wieder in Mode. Darüber hinaus wird Flanieren als Methodik sozialer Feldforschung entdeckt. Der Soziologe Mike Featherstone erkennt in der Figur der Flâneuse bzw. des Flâneurs ebenfalls eine Methode, um z. B. Text, aber auch um die Spuren einer Stadt zu lesen – ebenso vergleicht er das Surfen bzw. das Browsen im Internet mit dem Flanieren.[8] Folglich kann heute auch von einem digitalen Flanieren und von Datendandys ausgegangen werden.[9] Allerdings lässt sich hinsichtlich der inflationären Verwendung des Begriffs eine gewisse Unschärfe feststellen. Doch gibt es so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner des Flanierens? Um es einfach auszudrücken: Jemand, der flaniert, ist eine Flâneuse oder ein Flâneur. Unter Flanieren versteht man „in erster Linie mit Zeit versehenes, müßiges und auf keinen primären Zweck wie Arbeit, Konsum oder das auf die Erreichung eines bestimmten räumlichen Ziels gerichtete Umherstreifen in urbanen Kontexten“.[10] Im literarischen Sinne ist die Flâneuse bzw. der Flâneur im Wesentlichen mit dem deutschen Autoren Walter Benjamin verbunden. Benjamin ist es, der auch in Deutschland den Begriff einführt.[11] Folglich wird ihm zugeschrieben „den Flaneur als zentrale Figur der Moderne entziffert zu haben.“[12] In diesem Kontext gilt das von ihm verfasste Werk „Das Passagen-Werk“ als eine der wichtigsten Arbeiten zu diesem Thema. Es enthält eine erst posthum herausgegebene fragmentarische Sammlung von Schriften und Notizen, die Benjamin zwischen 1927 und 1940 verfasst hat.[13] Als Folge dessen greift Benjamin bei seiner Beschreibung der Flâneuse bzw. des Flâneurs auf Werke von anderen Autoren zurück, die diese Figur schon zuvor  thematisiert haben, beispielsweise Edgar Allan Poe in „The Man of the Crowd“ von 1840.[14] In dieser Kurzgeschichte beobachtet ein Cafébesucher durch die Fensterscheibe das Londoner Großstadtleben und dessen Stadtmenschen, schließlich folgt er einem rätselhaften Fremden quer durch die City. Ebenso sind es Texte wie „Spazieren in Berlin“ von Franz Hessel, die Benjamin zu seinen theoretischen Ausführungen zum Flanieren inspirieren. Hessel bezeichnet seine Sammlung feuilletonistischer Texte als „eine Art Lektüre der Straße“, „wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Caféterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben.“[15] Benjamin verfasst darüber eine Rezension und nennt sie „Die Wiederkehr des Flaneurs“.[16] Aber allen voran ist es das Werk von Charles Baudelaire, das Benjamin diesbezüglich nachhaltig beeinflusste. 1859 bezeichnete Baudelaire die Flâneuse bzw. den Flâneur in „Le peintre de la vie moderne“ als „passionierten Beobachter“, für die*den es ein Genuss sei, „in der Masse zu hausen, im Wogenden, in der Bewegung, im Flüchtigen und Unendlichen“.[17] Allerdings blieb Benjamins „Passagen-Werk“ fragmentarisch, er konnte die „Theorie des Flaneurs“ nicht vollständig entwerfen. Aus diesem Grund lassen sich aus den „verstreuten Aussagen“ keine „kanonische Definition“ oder ein geschlossenes Bild des Flaneurs herauslesen.[18] Denn auch Benjamin liefert nur eine facettenreiche Sammlung inhaltlicher Merkmale dieser Figur, die der Kommunikationswissenschaftler Sebastian Doedens wie folgt interpretiert:

„Er ist zugleich richtungsloser und berauschter Vagabund[19], Beobachter, des großstädtischen Lebens[20] und der Menschen,[21] Vorfahre des Detektivs,[22] schwermütiger Asket,[23] unschlüssiger Zweifler,[24] unauffindbarer Verdächtiger,[25] Einsamer in der Masse,[26] überzeugter Müßiggänger,[27] mit durchaus auch politischer Note“.[28]

In Bezug darauf kann auch dieser Arbeit keine wesenhafte Definition der Flâneuse bzw. des Flâneurs zugrunde gelegt werden. Jedoch exemplifiziert der Literaturwissenschaftler Harald Neumeyer eine grundsätzlich funktionale Flaneur*innen-Bestimmung, „welche die Einheitlichkeit der Figur zugunsten einer programmatischen ‚Uneindeutigkeit des Flaneurs‘ auflöst“[29] und „dessen Verschiedenartigkeit, was sozialhistorische wie literarische Erscheinungsweisen, inhaltliche Attribuierungen, ideologische Beurteilungen und ästhetische oder sozialhistorische Aufgaben betrifft“[30] nicht als „Konstituens“[31] der Flâneuse bzw. des Flâneurs herausstellt. Insofern überzeugt dieser Ansatz, da die „Funktionalisierungen der Figur“ dafür sorgt, dass deren „proteushaftes Profil und seine Ziellosigkeit tatsächlich erst erfasst werden können“,[32] wie Walter Fähnders, Professor für Germanistik und Neuere deutsche Literatur, es ausdrückt. Da ich vor allem Unterschiede zwischen dem visuellen bzw. dem auditiven Material herausarbeiten möchte, erachte ich die literarische Definition Neumeyers für dieses Projekt einbringlich:

„Die Heterogenität dieser Formen und die damit einhergehende Vielfalt von fiktionalen Typen des Flaneurs bestätigen […], dass der Flaneur – sowohl sozialhistorisch als auch literaturgeschichtlich nicht auf einen Typ oder ein Wesen reduzierbar ist, sondern Gehen und Sehen des Flaneurs als ein ‚offenes Paradigma‘ zu verstehen sind, das seine konkreten Füllungen erst im Kontext der Funktionalisierungen – sei es als Agent eines ästhetischen Programms, als Inspizient der gesellschaftlichen Moderne oder als Modell einer Ich-Konstitution erhält“.[33]

Aus meiner Sicht eignet sich das Konzept der Flâneuse bzw. desFlâneurs für diesen auditiven Zugang deswegen so gut, da die „Offenheit der Flaneurfigur“[34] ein medienwissenschaftliches Lauschen, insbesondere mit der korrespondierenden Facette der Offenheit, wie sie theoretisch – unter anderem – von Jean-Luc Nancy diskutiert worden ist, an die Seite gestellt bekommt.

„Hören heißt in diese Räumlichkeit eintreten, von der ich zur selben Zeit durchdrungen werde: Denn sie öffnet sich in mir ebenso wie um mich herum, und von mir ebenso wie zu mir hin: Sie öffnet mich in mir ebenso wie draußen, und eben durch eine solche doppelte, vierfache oder sechsfache Öffnung kann ein ‚Selbst‘ Statt haben. Ganz Ohr sein, Lauschen, das ist gleichzeitig draußen und drinnen sein, von außen und von innen offen sein, vom einen zum anderen also, und vom einen im anderen.“[35]

3.     Medienethnografische Dokumentation

Nach der theoretischen Rahmung möchte ich den methodischen Umgang mit dem Material in den Blick nehmen. Als Methode wähle ich den Forschungsansatz der Autoethnografie. Deren Anliegen besteht darin, Merkmale der Autobiografie und der Ethnografie zu verbinden. Demzufolge ist das übergreifende Ziel einer ethnografisch orientierten Studie, das Phänomen einerseits in seinen Kontexten, aber anderseits in schriftlicher Form auf der Basis des empirischen Materials zu veranschaulichen.[36] In der Regel schreiben Autobiograf*innen nachträglich und selektiv über vergangene Erfahrungen. Das heißt, sie durchleben diese Erfahrung nicht ausschließlich mit dem Ziel der Veröffentlichung, sondern fügen sie im Nachhinein zu einer Erzählung zusammen.[37] Dabei können durchaus Erinnerungshilfen genutzt werden, wie z. B. Interviews, aber auch Texte, Fotos oder Zeitschriften.[38]

„Unter Rückgriff auf dieses Material stellen sie Texte her, die sie im Zuge der Forschung mehrfach überarbeiten und umschreiben. Das Wiederlesen und Umschreiben des Textes mit der Frage, welche Themen und Motive in ihm verborgen sind, was er über das Erlebte sagt und wo die Rezipient/innen mit eigenen Geschichten anschließen können, die Suche nach emotional produktiven und damit epistemisch gehaltvollen Elementen sowie die systematische sprachliche Stärkung wichtiger Themen und Passagen hat in der Autoethnografie einen ähnlichen Stellenwert wie die Interpretation/Auswertung in anderen qualitativen Verfahren.“[39]

Meistens schreiben Autobiograf*innen über Momente, die für sie von besonderer Bedeutung sind. Wenn Forscher*innen Ethnografie betreiben, dann interessieren sie sich dafür, wie „andere die Wirklichkeit wahrnehmen, handeln, begehren – Subjekt sind“,[40] das heißt, sie werden zu teilnehmenden Beobachter*innen. Kurz gesagt: Sie setzen ihre eigene Subjektivität als methodisches Instrument ein, um soziokulturell verfasste Erfahrung zu verstehen.[41] Hierfür prägte der Ethnologe Clifford James Geertz den Begriff „dichte Beschreibung“, die „auf der sinnvollen Darstellung alltäglicher kultureller Praktiken und den damit verbundenen Fragen“ basiert.[42] Das bedeutet, die dichte Beschreibung sollte systematisch angelegt sein, theoriegeleitet und vergleichend erfolgen. [43]  Besonders wichtig ist dabei die „Vollständigkeit und Plausibilität in der Argumentation.“[44] 

„Autoethnografie bezeichnet sowohl eine Methode/einen Prozess als auch dessen Ergebnis. Wenn Forscher/innen Autoethnografien schreiben, bemühen sie sich um ästhetisch dichte Beschreibungen persönlicher und zwischenmenschlicher Erfahrungen, die die Leser/innen fesseln und von Konventionen der Erzählkunst wie Figur, Szene und Handlungsentwicklung und/oder einem chronologischen oder fragmentarischen Erzählverlauf Gebrauch machen.“[45]

Weiters basiert das wissenschaftliche Setting auf einer „Sache der Interpretation und nicht der Beobachtung und Beschreibung.“[46] Dabei werden durchaus auch Nutzungsweisen von Medien beschrieben, aber eben nicht im Sinne einer Dokumentation, sondern in erster Linie mit dem Vorhaben, Verknüpfungen zu weiteren Kontexten herauszuarbeiten. Somit wird das Erlebte nicht nur erzählt, sondern auch analysiert.

Angesichts dessen lauten die Fragen, die ich an das Material für die ethnografische Dokumentation stellen möchte, folgendermaßen:

  1. Welche visuellen oder auditiven Gestaltungsmittel werden im Areal Schönbrunn zur Subjektivierung, also zum Zweck der Selbstkonstitution von ungetrübten, fröhlichen und gesellschaftlich nützlichen Bürger*innen, eingesetzt?
  2. Findet sich beispielsweise Hintergrundmusik „Muzak“ (functional music)[47] als Gestaltungsmittel zur Disziplinierung wieder?
  3. Finden sich visuell-mediale bzw. akustisch-mediale Rahmungen, die Subjektivierungsformen und Handlungsoptionen zueinander in Beziehung setzen und damit soziale Ordnungen stiften?

4.     How-to: Praktische Umsetzung der Feldforschung

Bei der praktischen Umsetzung einer ethnografischen Feldforschung beginnt die gezielte Vorbereitung bereits zu Hause. Neben dem soeben geschilderten wissenschaftlichen Vorverständnis sowie der Ausarbeitung der anzuwendenden Methoden und Techniken kommt auch die praktisch-organisatorische Vorbereitung zum Tragen.[48] Zunächst möchte ich jedoch den Prozess der Datenerhebung beschreiben, da dies unterschiedliche Formen der Beobachtung oder der Befragung umfassen kann.

4.1. Datenerhebung

Wie bereits angesprochen ist für dieses Projekt die autoethnografische Feldforschung das methodische Kernstück der Datenerhebung, komplementiert um die Theorie des Flanierens. Im ersten Schritt wurde eine Route mit Merkmalen des Flanierens (Spots) physisch bzw. digital erstellt sowie Fotos von den wichtigsten Orten eingefügt (die genaue Beschreibung wurde im ersten Teil dieses Projektes ausgeführt).

4.1.1.     Formen der Beobachtung

Für dieses Projekt kam folglich eine standardisierte Beobachtung zum Einsatz, es wurden relevante Indikatoren wie Punkte auf der Flanierroute festgelegt und von dort aus Fotos bzw. das Audiomaterial angefertigt. Das resultierte vor allem aus dem Umstand, dass es für dieses Projekt bereits im Vorfeld Vorgaben gab und auch nicht über den Rahmen dieser Arbeit hinausgegangen werden sollte. Diese Phase lieferte die Grundorientierung im Feld. Jedoch war die Beobachtung bzw. die Erstellung von Foto- und Audiomaterial an eine nicht-standardisierte Form der Beobachtung geknüpft. Das bedeutet, die Beobachtungen pro Spot fanden im natürlichen Kontext der alltagsweltlichen Ereignisse ohne Einschränkung durch vorgefertigte Kategorien oder spezifisch inszenierte Beobachtungsarrangements statt. Denn das Flanieren im Feld hat verschiedene Kenntnis-Dimensionen, dazu gehören auch Innehalten oder Umherblicken – das alles ist von Bedeutung, um eine Gegend erkunden zu können.[49] In diesem Sinne schreibt Legarno: „[N]eben dem Innehalten und den Dimensionen des Weges – [muss] noch eine dritte Dimension erwähnt werden, das ist das Zurückgehen oder Gegen-den-Strich-Gehen.“[50] Dieses Gegen-den-Strich-Gehen ist trotz vordefinierten Spots möglich, denn wie man zu den Stützpunkten kommt oder sich dort bewegt, ist in diesem Setting jeder*jedem selbst überlassen.

4.1.2.     Beobachtungsrollen

Grundsätzlich kann der*die Forscher*in in unterschiedlichste Beobachtungsrollen während einer Feldforschung schlüpfen. Für dieses Vorhaben eignet sich die beobachtende Teilnahme, aber ebenso wichtig ist die direkte Beobachtung bzw. eine Offenlegung der Rolle der Forscher*innen. Gerade in Bezug auf die Audioaufnahmen, die beispielsweise mit einem Smartphone auch relativ verdeckt entstehen könnten, plädiere ich dafür, diese öffentlich zu gewinnen. An dieser Stelle möchte ich festhalten: Die Audioaufnahmen waren so arrangiert, dass sie von den Besucher*innen ringsum immer zu erkennen waren. Somit pausierten die meisten Parkgäste ihre Unterhaltung, weil sie sich berechtigterweise belauscht fühlten, was manchmal einen Nachteil darstellen kann. Anderseits ist anhand des empirischen Materials keine eindeutige Personenzuordnung möglich, was in Bezug auf Datenschutz und die Veröffentlichung der Daten einen wichtigen Punkt darstellt.

4.1.3.     Praktisch-organisatorische Vorbereitung

Neben der bereits einführend dargestellten fachlich-wissenschaftlichen Vorbereitung – wie der Aneignung der Literatur zur Herausbildung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des gewählten Themas und der anzuwendenden Methode(n) sowie Techniken – ist die praktisch-organisatorische Vorbereitung von großem Belang.

4.1.3.1 Organisation

Im Falle dieser Erhebung sind beispielsweise die Parköffnungszeiten zu berücksichtigen, da der Park nicht rund um die Uhr geöffnet ist. Ferner kann das Areal aufgrund von z. B. starkem Windaufkommen überhaupt geschlossen sein. Gerade bei den Audioaufnahmen sollten gegebenenfalls Wetterverhältnisse beachtet werden, durch die großen Baumalleen im Park kann an windigen Tagen die Aufnahmequalität sehr eingeschränkt sein. Abgesehen davon sind bei z. B. winterlichen Verhältnissen Tore und Wege nicht passierbar. Diese Informationen können jedoch vorab auf der Website der Parkverwaltung eruiert werden. 

4.1.3.2  Technische Ausrüstung

Vor Antritt der Feldforschung sollte unbedingt die Funktionstüchtigkeit der technischen Ausrüstung (Notebook, Fotoapparat, Filmkamera, Diktiergerät etc.) überprüft und auf das nötige Zusatzmaterial geachtet werden. Eventuell ist es ratsam, einen externen Akku mitzunehmen und zusätzliche Speicherkarten. Obendrein empfiehlt es sich, in Schönbrunn passendes Schuhwerk dabeizuhaben, da die Wege nicht durchgehend asphaltiert sind und mit erheblichen Steigungen z. B. rund um den Schönbrunner-Berg gerechnet werden muss.

4.1.3.3  Metadatendokumentation

Im Zuge der Feldforschung können unterschiedliche Methoden der Datenerhebung und Datendokumentation eingesetzt werden, folglich ist es empfehlenswert, eine systematische Metadatendokumentation vorzunehmen, die beispielsweise in chronologischer Abfolge die verschiedenen Daten und Dokumentationsstrategien festhält.

Für den ersten Teil der Arbeit – die Erstellung der Map sowie die Sammlung der Fotos – und den zweiten Teil – der Audioaufnahmen – sind folgende Geräte vor Ort zum Einsatz gekommen:

  • Smartphone zur Orientierung und Anlage der Map: Samsung Galaxy S 9
  • Kamera für Fotodokumentation: Sony Alpha 7 R III (Spiegellose Vollformat-Kamera) plus

Objektiv von Sony SEL 90/2,8 G OSS Makro

  • Aufnahmegerät für Audiomaterial: Zoom H2 Handy Recorder mit SD-Karte

4.2. Erstellung Foto- und Audioaufnahmen sowie Aufbereitung für Google My Maps

Wie im ersten Teil angeführt, eignet sich für die Veröffentlichung der Flanierroute das Tool „Google My Maps“, da sich damit relativ leicht benutzerdefinierte Karten erstellen und mit anderen teilen lassen. Die Karten sind für den*die Ersteller*in unter „Meine Orte“ in Google Maps abgelegt und jederzeit bearbeitbar.

4.2.1      Fotoaufnahmen

Für diese Fotoaufnahmen wurde ein spezielles Objektiv benutzt, welches normalerweise für Makroaufnahmen bzw. für Groß- oder Halbnahaufnahmen zum Einsatz kommt. Dadurch liegt die Konzentration auf einem punktuellen Bildausschnitt, im Gegensatz zu einem Weitwinkelobjektiv. Anhand dieses Spezifikums tritt ebenfalls eine dem Flanieren ähnliche Auffassung zutage, da für die Aufnahme ebenfalls eine besondere Perspektive und Haltung eingenommen werden muss. Damit entsteht ein Gegentopos zu der z. B. beschleunigten Handyfotografie. Es bedarf dabei durchaus einiger physischer Anstrengung, beispielsweise muss sich der*die Fotograf*in mitunter „verbiegen“, um zu einem brauchbaren Motiv zu gelangen. Die Kamera wurde auf JPG-Format umgestellt, sodass ein späteres Entwickeln entfallen kann. Eine weitere Bearbeitung der Fotos wurde nicht vorgenommen. Später folgte die Komprimierung und Umwandlung gemeinsam mit der Tondatei in ein Videoformat. An jedem markierten Geo-Punkt wurde nur ein einziges Foto geschossen. Ganz ähnlich wie gemächliches Gehen, gehört auch langsames Sehen, der „gedehnte Blick“[51], zur Theorie des Flanierens. Dementsprechend ist das Motiv vor Ort anhand eigener Empfindungen entstanden. Ferner steht Sehen hier beispielhaft für unseren dominanten Sinn, aber „Gerüche und Geräusche können ebenso kennzeichnend sein und sollten nicht außer Acht gelassen werden“.[52]

4.2.2.     Audioaufnahmen

Entsprechend möchte ich nun auf die Aufzeichnung von Geräuschen, Tönen, Gesprächen und Musik usw. eingehen. Diese Aufnahmen gingen genau an den Spots vonstatten, an denen zuvor die Fotos produziert wurden, und zwar gemäß folgendem Muster: auf den Geo-Punkt stellen, das Mikro einschalten, dieses etwa 30-40 Sekunden laufen lassen, Stopp-Taste drücken. Wie bei den Fotos ist es nur ein einmaliger Durchgang. In diesem Bedeutungshorizont weise ich wiederum auf die Technik des Flanierens hin: Der Literat Georges Perec setzte sich an drei Tagen im Oktober 1974 in ein Café an der Place Saint-Sulpice in Paris und schreibt auf, was er sieht, um zu notieren, ,,was geschieht, wenn nichts geschieht“.[53] Ebenso verhält es sich mit den Tonaufnahmen. Darum wird auch dieses Material nicht extra geschnitten oder bearbeitet. Die Speicherkarte im Audiorecorder erleichtert es, das Material schnell griffbereit zu haben und mit dem Foto anhand einer Videodatei zu verbinden.

4.2.3.     Veröffentlichung/Hinzufügen zu Google My Maps

Fotos und Audiodaten müssen zunächst als Videoformat gerendert und auf YouTube auf einen bereits existierenden Kanal hochgeladen werden, damit sich die Daten in Google My Maps integrieren lassen. Im Anschluss daran wird die Webvideoadresse kopiert und in die Standortkarte unter dem jeweiligen Punkt hinzugefügt. Dabei muss darauf geachtet werden, dass das Video öffentlich zugänglich ist, ansonsten kann die Integration nicht stattfinden. Die vollständige Landkarte dieser Übung ist unter https://bit.ly/3hQeksx im Internet abrufbar.

5.     Auswahl der Location

Nun möchte ich mein Augenmerk auf die Beschreibung eines beispielhaften Falls richten. Im Wesentlichen kommt die Präsentation der Ethnografie in der Art und im Akt des Schreibens zum Ausdruck. Für Geertz sind ethnografische Schriften Fiktionen, „weil sie etwas künstlich Geschaffenes sind, müssen aber nicht unbedingt falsch sein.“[54] Dichte Beschreibungen sind dem Ethnologen zufolge nicht nur „einfache Beschreibungen“, sondern „eine Kombination von Beschreibung und Interpretation.“ [55]

Wie bereits unter Punkt 3 zur Methode erklärt, schreiben Autoethnograf*innen häufig über „Epiphanien“, bedeutsame Momente – und einen solchen erlebte auch ich im Rosenwäldchen. Daher erzwingt dieser Ort eine Auseinandersetzung mit dem Erzählten.

5.1. Rosenwäldchen – Areal Schloss Schönbrunn

Zu den interessantesten Boskettinnenräumen in den Gärten Schönbrunns zählt das Rosenwäldchen. Es ist unklar, warum das Boskett den Namen Rosenwäldchen erhielt, da es keinen Hinweis darauf gibt, dass es dort je Blumenschmuck gegeben hätte.[56] Das Boskett gehört zum Themenbereich der Gartengestaltung und stammt vom französischen Wort „bosquet“ ab. Wörtlich übersetzt bedeutet dies Wäldchen oder Hain – ein Lustwäldchen.[57] Boskette dienen als Teil des Gartens, als eine Art Pufferzone zwischen den streng geometrisch und architektonisch angelegten Flächen (Parterre). Charakteristisch sind die meist sehr hohen und streng geschnittenen Hecken, die neben der Funktion der weitläufigen, einsehbaren Abschnitte ebenso einen Anschein intimer Räumlichkeit in den Gärten schaffen.[58] Das Rosenwäldchen ist eine Anlage, die aus einem achtstrahligen Stern und einem rechteckigen Umgangsweg besteht.[59] Grundsätzlich fühlt man sich in diesen Räumen geschützt, weil die Anlage nach innen schließt, aber nach außen öffnet.[60] Ganz anders beim Rosenwäldchen, es ist „… ein Raum, der nach außen schließt und nach innen öffnet: Die Anlage ist von allen Seiten zugänglich, der Blick nach außen wird aber durch die geschnittenen Hecken wesentlich behindert.“[61] Diese Tatsache und dass es ein wenig labyrinthisch wirkt, war für meine Auswahl für die nachfolgende dichte Beschreibung ausschlaggebend.

6.     Verirrung

Ort: Schlosspark – Schloss Schönbrunn, Rosenwäldchen, Datum: 15.11.2020 sowie 31.12.2020

Vorsichtig betrete ich den Eingang des Rosenwäldchens. Die hohen Hecken wirken einschüchternd. Den Ausgang kann ich nicht erkennen. Irgendwie macht mich der Ort neugierig, aber zugleich schüchtert er mich ein. Umkehren kommt mir nicht in den Sinn. Vielleicht sind es die engen Wege, doch irgendwas treibt mich vorwärts. Während ich zügig versuche, den Raum zu durchschreiten, dehnt er sich aus. Endlich. Ich bin in der Mitte angekommen. Plötzlich springt der Weg sternförmig auseinander. Jetzt aber! Ich zücke meine Kamera. Mist! 90 Millimeter. Das unhandliche Objektiv zwingt mich, in der Mitte zu verharren. Ich bin überfordert. Acht Richtungen klaffen auseinander und ich finde keine Position, wie ich dies mit meiner Kamera und nur einem Foto einfangen könnte. Die selbstauferlegte Behäbigkeit nervt mich – Methode hin oder her. Die Heckenzwickel laufen spitz auf mich zu. Ich wiederum laufe nach links in einen Gang und blicke durch den Sucher. Beklemmungsgefühl macht sich breit. Ich fühle mich wie in einem Pac-Man-Spiel inklusive Leistungs-Scoring, denn ich habe noch immer kein Bild. Pscht, kommt da jemand? Die Geräusche veranlassen mich, weiter zu machen. Es ist aufregend. Im Labyrinthischen changiere ich zwischen Geheimnisvollem, Unbekanntem, Dynamischem, einer gewissen Verheißung, Entrückung und deren Realitätserprobung – irgendwann fühlt es sich an wie zappen. Aber nun weiß ich nicht mehr, aus welcher Richtung ich gekommen bin. Ganz im Sinne Benjamins habe ich mich in einem Labyrinth verirrt. Und jetzt? Es weht klassische Musik zu mir. Woher kommt das? Bekomme ich tatsächlich Muzak im maze zu hören?[62] Ohne Rekorder wäre mir dies vermutlich nicht aufgefallen. Jedenfalls verströmt diese Irrgartenlogik etwas von Multiple-Choice-Atmosphäre, ein Leistungstest, der über intelligente und soziale Selektion bestimmt. Nein, noch immer kein Foto. Dafür gehen mir allerlei Hypothesen durch den Kopf. Doch dann fällt mir auf: Das Labyrinth hat mit Bewegung zu tun. Mir wird klar, dass ich in der Mitte des Bosketts das Geheimnis vergeblich suche. Vielmehr ist es zwischen den Sträuchern, zwischen den Pfaden, zwischen den Steinen. Es liegt im Bereich des Dazwischen ­– wie das Foto, das ich nun doch geschossen habe. Was ich hier im Boskett vorfinde, exemplifiziert nicht nur den Modus barocken Regierens, sondern ebenso den spätmodernen Regierens. Dieses Lustwäldchen zählt zu den Freiheitsspielräumen, die unbegrenzt anmuten, aber diskret-unmerklich anleiten, regulieren und lenken.[63] Oder anders gesagt: Es veranschaulicht die Unterhaltungsdisziplin, denn die Waren des Kulturerbes sind Erlebnisgüter. Mit dem Zweck – wie die Hintergrundmusik, die eigentlich von einem Restaurant in der Nähe stammt – das Ziellose obsolet zu machen.

7.     Resümee

Anknüpfend an die Erfahrungen, die ich mithilfe dieser Übung machen durfte, möchte ich festhalten, dass die Methode des Flanierens mir einerseits ermöglichte, die Kopplung von Bild und Ton vorzunehmen, anderseits vor Augen hielt, wie sich durch digitale Bewegung der psychische Raum konstituiert und umgekehrt. Insofern stellen die neuen Technologien nicht nur neue Wahrnehmungsmuster bereit, sondern ebenso neue Wissensstrategien vor. Diesbezüglich verweist das Konzept des Flanierens auf die Beziehung von sinnlichen, sensorischen, körperlichen, emotionalen und kognitiven Funktionen im Rahmen von Erkenntnis- und Wissensprozessen und findet im Analogen, aber genauso im Virtuellen statt. In Bezug auf mediale Mobilität könnten sich somit verstärkt Schnittmengen zwischen medien- und kulturwissenschaftlichen Debatten ergeben, etwa über Sinne, Medien und den Körper im Raum. Die Methode des Flanierens erweist sich zwischenzeitlich als Seismograf von Veränderungen hinsichtlich sozialer Konnektivität und entlarvt zugleich den politischen Charakter, wenn man beispielsweise formulierte Attribute Benjamins übernimmt. In weiteren Arbeiten findet sich oftmals nur die Minimaldefinition des Flanierens, was lediglich so viel heißt wie richtungsloses, unbestimmtes Bewegen. Dies kann jedoch völlig zweckmäßig sein, da es ohnehin schon schwer denkbar ist, die gesamte Untersuchung ohne Vorwissen zu praktizieren und einfach alles nur spontan in den Blick zu nehmen oder direkt auditiv zu erfahren. Angesichts dieses Umstands findet Legnaro aber deutliche Worte, wenn er schreibt:

„ …Gehen durch das Feld die einzige Möglichkeit, das eigene Vorwissen mit dem eigenen Eindruck zu amalgamieren und sich das Beobachtete selbst als eine Erzählung aufzubereiten, die die eigene Subjektivität transzendiert – das wäre dann wohl die größte Näherung an lntersubjektivität, die sich erreichen lässt.“[64]

Gerade weil sich im Konzept des Flanierens eine stark visuelle Dominanz ausnehmen lässt, finde ich vor allem die Perspektive des (wissenschaftlichen) Lauschens und das auditive Sich-Öffnen spannend. Darüber hinaus kann die Offenheit der Flaneur-Gestalt auch in der Forschung eine mentale Haltung, die „[…] völlige Offenheit mit einer subjektiven […] Wahrnehmung des Beobachteten“, die „[…] dabei das Durchleben der eigenen Empfindungen und Emotionen zwingend verlangt“, forcieren.[65] In Kombination mit der Methode der Autoethnografie verdanke ich diesem Zugang eine hohe Introspektion meiner eigenen Emotionen, ohne die eine dichte Beschreibung sowie Interpretation nicht möglich gewesen wäre. Doch bei aller Offenheit, die dieses Konzept mit sich bringt, waren die gestellten Fragen an das Material hilfreich und bewirkten eine sinnvolle Orientierung. Zugleich möchte ich darauf hinweisen, dass in der dichten Beschreibung keine vollständige Analyse vorliegt und die im Vorfeld aufgestellten Forschungsfragen unter medienwissenschaftlichen Gesichtspunkten in einer vertiefenden und ergänzenden Arbeit vorgenommen werden müssten. Abschließend möchte ich anmerken, dass gerade die Praxis des Gehens Erkenntnis, Lauschen, Fragen und Emotionen nach sich zieht. Gerade an dieser Stelle hat für mich das Konzept Walter Benjamins „Einbahnstraße“ mit seinen aphoristischen Formulierungen kaum an Aktualität eingebüßt. Denn im Akt des Flanierens eröffnet sich mir ein Bild des nicht-linearen, ein Bild eines nicht-stromlinienförmigen Daseins – Widersprüche und Verirrungen inklusive.


[1] Vgl. Caroline Rosenthal, „Die Kunst des Gehens. Weibliches Flanieren in Siri Hustvedts The Blindfold und  Tessa McWatts Out of My Skin“, Die Lust zu Gehen. Weibliche Flanerie in Literatur und Film, hg. v. Georgiana Banita et al., Leiden [u.a.]: Wilhelm Fink 2017, S. 77.

[2] Vgl. Aldo Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, Sozialer Sinn. Zeitschrift für hermeneutische Sozialforschung | Sozialer Sinn, 11/2, 2010, S. 275–288, hier: S. 277.

[3] Walter Benjamin, „Das Passagen-Werk“, Gesammelte Schriften, Band 5/Teil 1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 1–654, hier S. 541.

[4] Siegfried Saerberg, „Widerständigkeiten blinden Flanierens“, senseAbility.Mediale Praktiken des Sehens und Hörens, hg. v. Beate Ochsner / Robert Stock, Bielefeld: transcript 2016, S. 303–322, hier: S. 304.

[5] Vgl. Saerberg, „Widerständigkeiten blinden Flanierens“, S. 305.

[6] A. a. O., S. 301f.

[7] Clifford Geertz, The interpretation of cultures, New York: Basic Books 1973, S. 284.

[8] Vgl. Mike Featherstone, „‚The Flâneur‘, the City and Virtual Public Life“, Urban Studies, Vol. 35, No. 5/6, 1998, S. 909–925, hier: S. 921.

[9] Vgl. Franziska Wotzinger, „Smombies, Datendandys und digitale Flaneure. Soziale Medien und die digitale Bildkultur“, Porträtkulturen, Leiden [u.a.]: Wilhelm Fink 2019, S. 179–199.

[10] Vgl. Saerberg, „Widerständigkeiten blinden Flanierens“, S. 303.

[11] Vgl. Matthias Keidel, Die Wiederkehr der Flaneure. Literarische Flanerie und flanierendes Denken zwischen Wahrnehmung und Reflexion, Literaturwissenschaft Bd. 536, Würzburg:Königshausen & Neumann 2006, S. 196.

[12] Harald Neumeyer, Der Flaneur. Konzeption der Moderne, Würzburg: Könighausen & Neumann 1999, S. 14.

[13] Benjamin, „Passagen-Werk“, Einleitung des Herausgebers, S. 11.

[14] Zunächst 1937/38 in „Das Paris des Second Empire bei Baudelaire“, anschließend 1939 in „Über einige Motive bei Baudelaire“; Vgl. Neumeyer, Der Flaneur, S. 15.

[15] Franz Hessel, Spazieren in Berlin, Copenhagen: SAGA Ebookausgabe 2016, S. 261.

[16] Vgl. Benjamin, „Passagen-Werk“, Zeugnisse zur Entstehungsgeschichte, S. 1093.

[17] Charles Baudelaire, „Der Maler des modernen Lebens“, Der Künstler und das moderne Leben, Essays, „Salons“, Intime Tagebücher, Leipzig: Reclam 21994, S. 290–320, hier 297f.

[18] Vgl. Keidel, Die Wiederkehr der Flaneure, S. 42.

[19] „Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschierte. Das Gehn gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt.  (…) Jener anamnestische Rausch, in dem der Flaneur durch die Stadt zieht (…).“; Benjamin, „Das Passagen-Werk“, S. 525.

[20] „Kraft dieses Phänomens, wird simultan was alles nur in diesem Raume potentiell geschehen ist, wahrgenommen. Der Raum blinzelt den Flaneur an: Nun, was mag sich wohl in mir zugetragen haben?“, a. a. O., S. 527.

[21] „Das Ablesen des Berufs, der Herkunft, des Charakters von den Gesichtern.“; a. a. O., S. 540.

[22] „In der Figur des Flaneurs hat die des Detektivs sich präformiert.“; a. a. O., S. 554.

[23] „Dann kommt der Hunger. Er will nichts von den hundert Möglichkeiten, ihn zu stillen, wissen. Wie ein asketisches Tier streicht er durch unbekannte Viertel, bis er in tiefer Erschöpfung auf seinem Zimmer, das ihn befremdet, kalt zu sich einlässt, zusammensinkt.“; a. a. O., S. 525.

[24] „Die eigentümliche Unschlüssigkeit des Flanierenden. Wie das Warten der eigentliche Zustand des unbeweglich Kontemplativen so scheint das Zweifeln der des Flanierenden zu sein.“; a. a. O., S. 535f.

[25] „Dialektik der Flanerie: einerseits der Mann, der sich von allem und allen angesehen fühlt, der Verdächtige schlechthin, andererseits der völlig Unauffindbare, Geborgene.“; a. a. O. S. 529.

[26] „(…) die Gefährtin des Flaneurs ist.“; a. a. O., S. 557.

[27] „Der flânerie liegt neben anderm die Vorstellung zu Grunde, dass der Ertrag des Müßiggangs wertvoller sei als der der Arbeit.“; a. a. O., S. 567.

[28] „Der Müßiggang des Flaneurs ist eine Demonstration gegen die Arbeitsteilung.“; a. a. O., S. 538; Sebastian Doedens, „Flanieren im Internet. Surfstile und Surfstrategien junger Internetnutzer“, Angewandte Medienforschung, hg. v. Hans-Bernd Brosius, Müchen: Nomos 2010, S. 14.

[29] Walter Fähnders, „Flaneur-Figuren 2“, MEDIENwissenschaft. Rezensionen | Reviews, 16/3, 1999, S. 314–315, hier S. 315.

[30] Neumeyer, Der Flaneur, S. 388.

[31] Vgl. ebd.

[32] Fähnders, „Flaneur-Figuren 2“, S. 315.

[33] Neumeyer, Der Flaneur, S. 288.

[34] Neumeyer, Der Flaneur, S. 63.

[35] Nancy Jean-Luc, Zum Gehör, Zürich: diaphanes, 32014, S. 26f.

[36] Vgl. Friedrich Krotz, Neue Theorien entwickeln. Eine Einführung in die Grounded Theory, die Heuristische Sozialforschung und die Ethnographie anhand von Beispielen aus der Kommunikationsforschung, Köln: Halem Verlag 2005, S. 255.

[37] Vgl. Mark Freeman, Data are everywhere: Narrative criticism in the literature of experience, hg. V. C. Daiute & C. Lightfoot, Canada: Sage 2004. S. 63–81.

[38] Vgl. Tony E. Adams et al., „Autoethnografie“, Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Band 2: Design und Verfahren, Wiesbaden:Springer 2020, S. 471–492, hier S. 474.

[39] Ebd.

[40] Jochen Bonz, „Im Medium der eigenen Menschlichkeit. Erläuterungen und Beispiele zum ethnopsychoanalytischen Ethnografieverständnis, das im Feldforschungsprozess auftretende Irritationen als Daten begreift“, Alltag – Kultur – Wissenschaft. Beiträge zur Europäischen Ethnologie, hg. v. Burkhart Lauterbach, Würzburg: Königshausen & Neumann 2014, S. 35­–60, S. 37.

[41] Vgl. Adams et al., „Autoethnografie“, S. 474.

[42] Vgl. Clifford Geertz, The interpretation of cultures, New York: Basic Books 1973, S. 284.

[43] Vgl. Geertz, The interpretation of cultures, S. 253.

[44] Vgl. a. a. O., S. 284.

[45] Vgl. Tony E. Adams et al., „Autoethnografie“, hier S. 475.

[46] Clifford Geertz, The interpretation of cultures, S. 255.

[47] Vgl. Rowland Atkinson, „Ecology of Sound. The Sonic Order of Urban Space“, Urban Studies,  September 2007, 44/10, S. 1905–1917, hier: S. 1915.

[48]Ernst Halbmayer und Jana Salat, Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, o. A., https://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html, 09. 01. 2021.

[49] Vgl. Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 282.

[50] Vgl. Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 283.

[51] Wilhelm Genazino, Der gedehnte Blick, München: Carl Hanser Verlag 2004.

[52] Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 282.

[53] Georges Perec, Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen, Konstanz: Libelle 2010, S. 9.

[54] Ernst Halbmayer und Jana Salat, Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, o. A., https://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html, 09. 01. 2021.

[55] Ebd.

[56]Vgl. Beatrix Hajos, Die Schönbrunner Schlossgärten. Eine topografische Kulturgeschichte, Wien [u.a.]: Böhlau 1995, S. 156.

[57] Vgl. Hajos, Die Schönbrunner Schlossgärten, S. 174.

[58] Der kleine Garten, Boskett und Bosco, o. A., https://www.derkleinegarten.de/mehr-infos-bilder/lexikon-gaertnerischer-fachbegriffe/b/boskett-definition.html, 09. 01. 2021.

[59] Vgl. Hajos, Die Schönbrunner Schlossgärten, S. 156.

[60] Erwin Frohmann „Naturgegebene Geometrien und ihre Anwendung in der Landschaftsarchitektur“ Nora Pavits 1241733, Universität für Bodenkultur, 2020, S. 42.

[61] Erwin Frohmann „Naturgegebene Geometrien und ihre Anwendung in der Landschaftsarchitektur“ Nora Pavits 1241733, Universität für Bodenkultur, 2020, S. 42.

[62] Unter dem Punkt Rosengärtchen auf der Google Map ist das Bild sowie das Audiofile zu finden. https://bit.ly/3ooEQeW

[63] Vgl. Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 283.

[64] Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 284.

[65] Legnaro, „Über das Flanieren als eine Methode der empirischen Sozialforschung“, S. 282.