Eine Analyse der TV-Serie The Golden Girls im Rahmen der Queer Theory

1.      Einleitung

In den letzten vier Jahrzehnten hat die gesellschaftliche Sichtbarkeit von LGBTQIA* kontinuierlich zugenommen.[1]  Immer mehr Menschen engagieren sich und Aktivist*innen, Künstler*innen treten für ihr bzw. ein plurales So-Sein ein.[2] Jedoch zählen alternde LGBTQIA* meist nicht zu den Personen, die im öffentlichen Leben sichtbar sind – früher verschwanden sie sogar völlig aus dem Blickfeld. Allerdings gibt es seit den 1960er-Jahren Generationen, die sich emanzipieren konnten und auch im Alter ihren Lebensstil pflegen.[3] Diese Lebensphase wird vermehrt zum Gegenstand von Diskussionen und Emanzipationen. Zumindest in der österreichischen Bundeshauptstadt finden sich mittlerweile sogar einige wenige Beratungs- und Freizeitangebote für alternde LGBTQIA*.[4] Auch haben queere Lebensbedingungen von Senior*innen Eingang in die Forschung gefunden, selbst wenn wissenschaftliche Studien über das Leben von älteren transidenten Personen, Schwulen und Lesben nach wie vor rar sind.[5] Marco Pulver arbeitet als Berater* in der homosexuellen Selbsthilfe in Deutschland. In seinem Artikel „Anders Altern – Zur aktuellen Lebenslage von Schwulen und Lesben im Alter“ skizziert er Ängste vor Diskriminierung, den Umgang mit sexueller Vielfalt und Einsamkeit, körperlicher Beeinträchtigung und Pflegebedürftigkeit.[6] Trotz differenzierter Aussagen in Studien von schwulen und lesbischen Oldies zu ihrer Situation offenbart sich, [7] dass sich offenbar noch immer ein Großteil dieser Menschen für ihre Homosexualität schämt. Denn in ihrer Jugendzeit wurde Homosexualität kriminalisiert, pathologisiert und verachtet.[8] Die „jüngeren Alten“ fühlen sich inzwischen überwiegend akzeptiert, Lesben noch eher als Schwule. [9] „Bei älteren homosexuellen Menschen, die mir im Rahmen meiner sozialpädagogischen Tätigkeit begegnen, sitzt die Angst vor Ächtung und Diskriminierung sehr tief“, [10] erklärt Pulver. Und von älteren Menschen, die sich nicht nur als weiblich oder nur als männlich identifizieren, ist ohnehin kaum die Rede. In der Regel sind viele ältere homosexuelle Menschen gewohnt, mehr Zeit mit sich zu verbringen, da sie keinen allzu großen Bekanntenkreis pflegen. Sie nutzen seit einigen Jahren auch gerne Internetportale, um sich auszutauschen oder oben erwähnte Freizeitangebote sowie Selbsthilfegruppen, um mit anderen LGBTQIA* persönlich ins Gespräch zu kommen.[11] Wobei Pulver anmerkt, dass sich diese Angebote zumeist vorrangig an jüngere Personen richten, was sich gleichfalls in Wien beobachten lässt.[12] Zu den großen Herausforderungen gehören komplette Isolation und Rückzug vom sozialen Leben, wenn beispielsweise Mobilitätseinschränkungen oder nur geringe Einkünfte vorliegen. Gerade lesbische Frauen müssen oft mit einer sehr kleinen Rente auskommen, merkt Pulver an. Auch gibt es Personen, die bereits 85 Jahre oder älter sind und noch in derselben Beziehung leben, die sie in ihrer frühen Jugend eingegangen sind. Doch selbst diese geben oft bei Nachbar*innen oder Verwandten an, dass es sich um Untermieter*innen handelt und nicht um die eigenen Lebenspartner*innen. Besonders schlimm trifft es Menschen, wenn die*der Lebensgefährt*in stirbt. Meistens gelingt es danach nur schlecht, neue Freundschaften zu knüpfen.[13] Hinzu kommt die Kinderlosigkeit vieler Paare.[14] Hinsichtlich dieser Probleme beschreibt Pulver in seinem Beitrag, wie schwer sich LGBTQIA* in herkömmlichen Pflegeeinrichtungen oder Wohnformen tun. Denn sie wünschen sich selbstverständlich „verständnisvolle und hilfsbereite, am liebsten ‚gleichgesinnte‘ Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld“.[15] Zuweilen wird kritisiert, dass an diesem Lebensort LGBTQIA* bloß unter sich bleiben.[16] Ausgehend von dieser Kritik spannt Pulver den Bogen hin zum Pflegebedarf von schwulen und lesbischen Senior*innen. Die gesamte Darstellung der Problematik kann in dieser Arbeit keinen Eingang finden, doch berichtet Pulver durchgängig davon, wie homosexuelle Senior*innen in ihrem Leben oft gehänselt, beleidigt und verlacht wurden und immer noch werden.[17] Häufig fühlen sie sich um ihre Jugend, ihre Liebe und die Tatsache, ihre Sexualität nicht frei entfalten zu können, betrogen.[18] Resultierend daraus glaubt Pulver, dass alternde LGBTQIA* im gesellschaftlichen Kontext automatisch mit einsamen und traurigen Gestalten in Verbindung gebracht werden. Pulver gibt ein Beispiel, wie auch seine eigene Mutter diesen Mythos repetierte, indem sie ihn warnte, dass er „als alte, einsame Tunte zu enden“ [19] drohe, wenn er sich das „Schwulsein nicht rechtzeitig“ abgewöhne.[20] Infolge solcher Aussagen drängt sich geradezu die Frage nach alternativen und positiven Darstellungen von Queerness im Alter auf, doch sind fiktionale Erzählungen, auch in Film und Fernsehen Mangelware. Beispiele in Bezug auf anerkannte queere, alternde Menschen gibt es kaum. [21] Ein positives Beispiel, das es in den 1980er-Jahren in die US-amerikanischen und in den 1990er-Jahren in (fast) alle heimischen Wohnzimmer schaffte, ist die Fernsehserie The Golden Girls. Diese Sitcom griff viele sozialkritische Tabuthemen wie etwa Diskriminierung, Homosexualität, AIDS oder soziale Isolation auf. Vor diesem Hintergrund stelle ich die These auf, dass Sitcoms wie The Golden Girls (nachfolgend: TGG)[22] ermöglichen, dass Rezipient*innen nicht nur darüber nachdenken, wie Geschlechteridentität dargestellt, produziert und konstruiert wird, sondern sie machen andere/neue/queere Lebensformen sichtbar und thematisieren, wie sich alternde LGBTQIA*in unseren Lebensrealitäten ausbilden können. Anders formuliert: Fernsehformate wie TGGschaffen es durch ihre fiktionale Erzählkraft, Vorurteile zu überwinden und auch alternden LGBTQIA* mehr Sichtbarkeit und Legitimität einzuräumen. Für diesen Zweck richte ich meinen analytischen Blick auf eine Szene aus TGG und untersuche beispielhaft die Folge Isn’t It Romantic? (Season 2, Episode 5, November 1986).[23]

1.1    Methodisches Vorgehen

Basis meiner Überlegung sind die Ansätze von Philosophin Judith Butler, im Speziellen ihre Auffassungen aus dem ersten Kapitel von „Das Unbehagen der Geschlechter“.[24] In diesem Kapitel – „Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechtsidentität*/Begehren“[25] – zeigt Butler auf, wie widersprüchlich „sex“ und „gender“ und die Ziele feministischer Theorie und Praxis sind. Sie macht transparent, dass feministische oder Queer-Theorien, die zwischen „sex/gender“ differenzieren, diese nicht radikal infrage stellen können, jedoch gelingt mit Queer Theory ein Aufzeigen und ein Benennen von Diskriminierung und/oder Ungerechtigkeit.[26] Womit die erste theoretische Säule dieser Arbeit formuliert wäre. Zuvor skizziere ich jedoch die Queer Theory mithilfe der Denkansätze von Medienwissenschaftlerin Annamarie Jagose.[27] Abschließend gehe ich auf die wichtigsten Aspekte aus Butlers Einleitung „Gemeinsam Handeln“ in „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“[28] ein. In diesem Abschnitt erläutert Butler, wie bestimmend soziale Normen für unsere Existenz sind. Darauf aufbauend analysiere ich im letzten Teil der Arbeit oben genannte Episode von TGG und nehme im Resümee eine (Re-)Evaluation der These vor bzw. gebe einen Ausblick.

2.      Theoretische Annäherung

2.1    Kurzeinführung in die Queer Theory

Früher bedeutete der Begriff queer[29] im besten Fall umgangssprachlich „homosexuell“, im schlimmsten Fall war es ein Schimpfwort. Vor einigen Jahren wurde queer allerdings zum Sammelbegriff für ein „politisches Bündnis sexueller Randgruppen“[30], erklärt Annamarie Jagose. Auch ein neues theoretisches Konzept, das sich aus bereits etablierten Lesbischen und Schwulen Studien[31] entwickelte hat, ist unter diesem Terminus hervorgegangen. Dieser flüchtige Blick reicht aus, um zu erkennen: Dieser Begriff ist im Wandel, erklärt Jagose.[32] Sie verweist aber auch darauf, dass sich die Bedeutung von queer nicht festigen oder klarer herausbilden muss, denn gerade die Unbestimmtheit ist für den Begriff wesentlich. Damit räumt Jagose ein, dass eine Einführung zu Queer Theory vergeblich erscheinen mag, weil sich die Bezeichnung geradezu gegen eine Definition sträubt und Queer Theory zu keiner normativen Disziplin werden soll.[33]Jede*r, die*der versucht, einen Überblick über diese wichtige Denkweise zu erstellen, läuft Gefahr, etwas in einer Weise zu ordnen, das sich nicht ordnen lässt.[34] Deswegen sieht Jagose davon ab, die veränderlichen Grenzen von queer festzulegen, stattdessen konzentriert sie sich auf die stete Veränderung und versucht, queer in die Geschichte sexueller Kategorien der letzten 100 Jahre einzureihen.[35] Zunächst kamen in den 1990er-Jahren die Lesbischen und Schwulen Studien an Universitäten auf und damit auch der Gebrauch des Begriffs queer, der sich relativ rasch etablierte. Queer ist einfach z. B. in Diskussionen einzusetzen, da das Wort nicht an Identitätskategorien gebunden ist. Die Queer Theory versteht sich als neueste Transformation der ebenfalls noch recht jungen Disziplin der Lesbischen und Schwulen Studien. Obwohl es keine Definition gibt, werden die Grundzüge von queer immer wieder skizziert und debattiert. Allgemein gesprochen „beschreibt queer Ansätze oder Modelle, die Brüche im angeblich stabilen Verhältnis zwischen chromosomalem, gelebtem Geschlecht (gender) und sexuellem Begehren hervorheben“.[36] Queer fungiert also als Brennglas und lenkt die Aufmerksamkeit dorthin, wo biologisches Geschlecht (sex), soziales Geschlecht (gender) und Begehren nicht zusammenpassen, erläutert Jagose.[37] Zusammenfassend ist zu folgern, dass Jagose die Überzeugung vertritt, dass queer weder progressiv noch reaktionär ist, sondern Bedeutung und Nutzen nicht festgelegt sind.[38] Ebenso möchte Jagose queer jedwede Kategorien ersparen, damit der Begriff in seiner Definition nicht erstarrt. Demnach kann auch seine Entwicklung nicht vorausgesagt werden: „Seine Zukunft liegt immerhin noch in der Zukunft.“[39] In Hinblick dessen versteht sich auch diese Arbeit als ein offenes Konzept und weitere Definitionen werden nicht vorgenommen. Es ist wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass trotz aller Offenheit mit Queer-Theorie ein tragfähiges Konzept für die spätere Analyse vorliegt. Vor allem die wichtigen Theoretiker*innen und Vordenker*innen wie Michael Foucault, Judith Butler sowie Eve Kosofsky Sedgwick trieben die queeren Interventionen voran. Aber nicht immer stößt queer im Kontext akademischer Theorien auf Gegenliebe. Einige finden es positiv, „einen anderen Diskurshorizont als eine andere Weise, das Sexuelle zu denken“[40] andere bezweifeln allerdings den Nutzen von queer. Jagose resümiert: Trotz aller Widersprüche hat queer durch die Veränderungen, die es gebracht hat, großen Einfluss auf die Lesbischen und Schwulen Studien. Infolgedessen bemerkt Jagose, dass es aufgrund von queer zu einer Neuordnung von Lesbischen und Schwulen Studien kommt und „daß es auch rückwirkend im Herzen dieser Disziplin seinen Platz eingenommen hat.“[41]

Nachfolgend gehe ich auf Judith Butler und ihre Überlegungen zur Geschlechterkonstruktion ein.

2.2        Judith Butler: „Die ‚Frauen‘ als Subjekt des Feminismus“

Judith Butler fordert in Das Unbehagen der Geschlechter eine neue Geschlechterpolitik.[42] Wie bereits erwähnt, zählen ihre Studien zu den Gründungstexten der Queer Theories sowie zu den Klassikern der politischen und feministischen Theorie. Diese Studien, die am Grundgerüst des Denkens rütteln, haben viele Theorien beeinflusst. Im ersten Kapitel „Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechtsidentität*/Begehren“ stellt Butler fest, dass die feministische Theorie zumeist davon ausgegangen ist, dass eine vorgegebene Identität existiert – bezeichnet durch die Kategorie „Frau“, also, dass es „die Frau“ gibt.[43] Diese Identität soll aber nicht nur Interessen und Diskurse anleiten, sondern das Subjekt bilden, das politisch repräsentiert werden soll. Aus diesem Grund war es für die feministische Bewegung wichtig, eine Sprache zu entwerfen, die Frauen voll und adäquat repräsentiert und die politische Sichtbarkeit fördert, da das Leben von Frauen entweder nur verzerrt oder gar nicht repräsentiert wurden.[44] Doch ortet Butler hier einen Widerspruch zwischen feministischer Theorie und Politik in feministischen Diskursen. Erstens wird das Subjekt „Frauen“ nicht mehr in festen unvergänglichen Begriffen beschrieben – in ihren Augen existiert „die Frau“ nicht. Zweitens gibt es kaum Übereinstimmungen, was die Kategorie „Frauen“ konstituiert oder konstituieren soll. Drittens legt Repräsentation im Vorhinein die Bedingungen fest, was ein Subjekt ist. Das bedeutet, dass nur, was als Subjekt gilt, repräsentiert werden kann. Um repräsentiert zu werden, muss mensch erst die Kriterien erfüllen, ein Subjekt zu sein.[45] Zudem scheinen juristische Machtbegriffe das politische Leben nur in negativer Form zu regeln, z. B. in Form von Beschränkungen, Verboten, Kontrollen usw. Aber gerade, „weil die Subjekte diesen Strukturen unterworfen sind, die sie regulieren, werden sie auch in Übereinstimmung mit den Anforderungen dieser Strukturen gebildet, definiert und reproduziert“.[46] Das Problem dabei: „[u]nweigerlich ‚produziert‘ die Rechtsgewalt, was sie (nur) zu repräsentieren vorgibt.“[47] Kurzum: Macht hat eine Doppelfunktion inne, nämlich eine juristische und eine produktive. Oder anders gesagt: Das Gesetz unterdrückt die weibliche Selbstbestimmung, generiert diese aber gleichzeitig, indem Weiblichkeit – im Sinne von „anders als Männlichkeit“ – überhaupt festgeschrieben wird. Demzufolge sind die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ diskursiv gebildete Konstrukte, werden aber als „natürlich“ hingestellt.[48] Insofern weist Butler den Gedanken einer Sexualität „vor“ der Kultur, „vor“ dem Gesetz und damit außerhalb des Symbolischen vehement zurück. Butler fordert, dass die feministische Kritik begreifen muss, wie die Kategorie „Frau(en)“, das Subjekt des Feminismus, durch diese Machtstrukturen hervorgebracht und eingeschränkt wird.[49] Problematisch ist für sie auch, wenn mit dem Begriff „Frau(en)“ eine gemeinsame Identität beschrieben wird oder eine universale Grundlage, also eine Identität, die quer über alle Kulturen hinweg existiert.[50] „Meine These ist, daß  die unterstellte Universalität und Integrität des feministischen Subjekts gerade von den Einschränkungen des Repräsentationsdiskurses unterminiert wird, in dem dieses Subjekt funktioniert“,[51] so Butler. Indem der Feminismus auf ein festes „Subjekt des Feminismus“ besteht (also Frau(en) verstanden als bruchlose Kategorien), sieht er sich in der Folge mit zahlreichen Ablehnungen konfrontiert. Hingegen zeigen die Positionen, die sich in der Kategorie nicht wiederfinden, die regulierenden Folgen einer solchen Konstruktion auf, auch wenn sie für die Emanzipation ausgearbeitet wurden. Damit zeigen sich die Grenzen der Identitätspolitik deutlich.[52] Der Feminismus hat mit dem Feminismus-Subjekt, das er selbst konstruiert hatte und mit dem er eine breite Repräsentation erreichen wollte, ironischerweise auch die Konsequenzen zu tragen, dass das Ziel zu scheitern droht, weil er sich weigert, der konstitutiven Macht der eigenen Repräsentationsansprüche Rechnung zu tragen, hält Butler fest.[53]

2.3    Judith Butler: „Zwangsordnung Geschlecht/Geschlechtsidentität*/Begehren“

Selbst vor dem Hintergrund des Versuchs eine unproblematische Einheit der „Frauen“ zu beschwören, um „eine Solidargemeinschaft der Identität zu konstruieren, führt die Unterscheidung zwischen anatomischem Geschlecht  (sex) und Geschlechtsidentität (gender) eine Spaltung in das feministische Subjekt ein.“[54] Aufgezeigt werden soll, dass die Geschlechtsidentität eine kulturelle Konstruktion ist, und zwar unabhängig davon, welches biologische Geschlecht mensch hat. Stimmt die  Geschlechtsidentität mit dem sexuell bestimmten Körper überein, dann folgt sie dem anatomischen Geschlecht. Wenn mensch allerdings die Unterscheidung bis an ihre logischen Grenzen treibt, schreibt Butler, würde das heißen, dass mensch von binary sex ausgeht (was auch zu hinterfragen ist). Allerdings: Die Kategorie Männer muss nicht zwangsweise einen männlichen Körper voraussetzen und die Kategorie Frauen muss nicht nur weibliche Körper meinen.[55] Im Hinblick dessen stellt Butler in den Raum, dass womöglich die Konstruktion namens „Geschlecht“ genauso wie Geschlechtsidentität kulturell hervorgebracht und dass das biologische Geschlecht immer schon Geschlechtsidentität gewesen sein könnte und damit eine Unterscheidung zwischen sex und gender gar keine wirkliche Unterscheidung wäre.[56]

2.4    Judith Butler: „Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte“

Im nächsten Kapitel widmet sich Butler Simone de Beauvoir, die in ihrem Buch „Das andere Geschlecht“[57] (1951) festhält: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.“[58] Das bedeutet, Beauvoir betrachtet die Geschlechtsidentität als Konstruktion.[59] Vor diesem Hintergrund fragt Butler, ob diese „Konstruktion“ auf eine Frage der Wahl reduziert werden kann. Beauvoir erklärt, dass mensch zwar zur „Frau“ wird, doch passiert dies unter gesellschaftlichem Druck, da die Gesellschaft eindeutig vom anatomischen Geschlecht ausgeht.[60] Laut Butler ist wie erwähnt „Geschlecht (sex) immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen.“[61] Damit vertritt sie die Überzeugung, dass der „Leib“ nicht ein Instrument oder ein Medium ist, in dem sich die kulturelle Bedeutung einschreibt. Für sie ist der „Leib“ eine Konstruktion.[62] „Man kann nämlich den Körpern keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge.“[63] „Ob die Geschlechtsidentität oder das Geschlecht festgelegt oder frei verfügbar ist, hängt von dem Diskurs ab“,[64] schreibt Butler. Dieser kann bestimmte Schranken setzen oder versuchen „bestimmte Lehrsätze des Humanismus als Voraussetzung für jegliche Analyse der Geschlechtsidentitäten zu retten.“[65] Das bedeutet, nicht alle Möglichkeiten sind prinzipiell offen, vielmehr weisen die Schranken der Analyse auf die Grenzen „einer diskursiv bedingten Erfahrung“[66] hin. Diese Grenzen werden an Maßgaben eines kulturellen, hegemonialen Diskurses festgemacht, „der auf binäre Strukturen gegründet ist, die als Sprache der universellen, allgemeingültigen Vernunft erscheinen.“ [67] Im nächsten Kapitel werde Judith Butlers Theorien aus ihrem Werk „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“ ins Blickfeld rücken.

2.5    Judith Butler: „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“

Judith Butler fragt, „was ein Leben lebenswert macht“.[68] Womit sie zunächst darauf anspielt, wie wir das Wort „Leben“ verwenden, also als wüssten wir ganz genau, was es erfordert. Wir fragen dann, „nach bestimmten normativen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit das Leben zum Leben wird.“[69]. Das heißt, sie spricht von „Mindestanforderungen“, die gegeben sein müssen für ein „gutes, lebenswertes Leben“. Hierfür braucht es Grundlagen, damit in einer bestimmten politischen Beschaffenheit oder Verfasstheit ein Rahmen abgesteckt werden kann, um ein solches „lebenswertes Leben“ zu konzeptualisieren und „dessen institutionelle Unterstützung zu regeln“.[70] Selbst wenn Butler einräumt, dass es kein einheitliches Verständnis von einem „guten Leben“ geben wird oder kann, rät sie, „ein Leben politisch zu leben, im Verhältnis zur Macht, im Verhältnis zu anderen, in der Übernahme von Verantwortung für eine kollektive Zukunft“.[71] Damit ist mensch aufgerufen, „ein anerkanntes, wertgeschätztes, gewürdigtes und würdevolles Leben“[72] zu ermöglichen, „ohne Zwang zu einer unterstellten Einheitlichkeit und für bedingungslose Vielfalt“[73] (Anm. ebenso im Alter). Geht es allerdings um die Frage der Geschlechtszugehörigkeit plädiert Butler dafür, weder Normen noch Konventionen uneingeschränkt zu befürworten, sie aber auch nicht automatisch infrage zu stellen. Denn für sie ist wesentlich, „zwischen den Normen und Konventionen zu unterscheiden, die es den Menschen erlauben, zu atmen, zu begehren, zu lieben und zu leben, und solchen Normen und Konventionen, welche die Lebensbedingungen selbst einengen oder aushöhlen.“[74] Problematisch ist an diesen Bestimmungen, anhand derer wir als menschlich erkannt werden, dass die gleichen Bestimmungen einigen Individuen „Menschlichkeit“ verleihen, jedoch anderen Individuen um die Möglichkeit, diesen Status einzunehmen, bringen, indem sie „Ungleichartigkeit zwischen dem Menschlichen und dem eingeschränkt Menschlichen erzeugen“.[75] Dies hat weitreichende Auswirkungen darauf, wie wir das „Modell eines Menschen“ lesen, so Butler.[76] Wer demnach einen Anspruch auf Rechte hat oder in politische Überzeugungen einbezogen wird, hängt von Normen ab. Das Menschliche wird in Abhängigkeit von Rasse, der Ausdeutbarkeit dieser, ihrer Morphologie, des anatomischen Geschlechts sowie des Geschlechts in der Wahrnehmung seiner Ethnizität uvm. unterschiedlich verstanden. Das führt dazu, dass bestimmte Menschen als eingeschränkt menschlich gelten, was zu einem nicht bewältigbaren Leben führt. Werden bestimmte Menschen als gar nicht menschlich anerkannt, dann kommt sogar noch eine weitere Ordnung eines nicht lebbaren Lebens hinzu.[77] Kurzum: Nicht jedem Menschen wird Menschlichkeit zuteil bzw. nicht jedem Subjektstatus wird Menschlichkeit gegeben, vielmehr ist sie ein Effekt von normativ gerahmten Anerkennungsverhältnissen.

3.      Hauptteil

3.1    Storyline Isn’t It Romantic? (Das Liebesgeständnis)

Zunächst gebe ich eine kurze inhaltliche Einführung in die Episode.
Jean (Lois Nettleton) – eine Freundin von Dorothy (Beatrice Arthur) – beschließt in der zu analysierenden Folge, ein paar Tage bei den TGG zu bleiben. Sie betrauert gerade den Verlust ihrer Lebenspartnerin Pat. Jean ist lesbisch und nur Dorothy sowie Sophia (Estelle Getty) wissen davon. Zunächst bitten sie Jean, dies, aus Angst, die beiden anderen Mitbewohner*innen würden es nicht verstehen, geheim zu halten. Da Rose (Betty White) allen ein Tablett voller Clown-Eisbecher serviert, zieht Jean ihre Schlüsse, vermutlich hält sie Rose in diesem Augenblick tatsächlich für zu naiv. Somit willigt Jean in Dorothys Plan ein, die Mitbewohner*innen vorerst lieber im Dunkeln zu lassen. Im Laufe der Folge verbringt Jean immer mehr Zeit mit Rose. Sie erkennt, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben, und Jean entwickelt romantische Gefühle für Rose. Vor diesem Hintergrund beschließt Dorothy, ihre Mitbewohnerin Blanche (Rue McClanahan) einzuweihen. Eines Nachts teilen dann Rose und Jean gemeinsam ein Zimmer, weil sie länger als die anderen wach geblieben sind. Woraufhin Jean, der nichts ahnenden Rose, ihre Gefühle gesteht. Rose blickt mit großaufgerissenen Augen in die Kamera, – Jean kann sie nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu ihr liegt – doch schnell kneift sie die Augen wieder zu und tut so, als würde sie schlafen. Am nächsten Morgen ist Jean dabei, ihren Besuch vorzeitig abzubrechen. Woraufhin Rose ihr mitteilt, dass sie ihre romantischen Gefühle zwar nicht erwidert, sich aber geschmeichelt fühlt. Sie bringt viel Verständnis für Jean auf. Außerdem bittet sie Jean, noch länger zu bleiben: Rose und Jean einigen sich, Freund*innen zu sein.

3.2    Analyse der Folge Isn’t It Romantic? Season 2, Episode 5 – 8. November 1986

Zur Form der Serie ist zu sagen, dass in TGG ein, wie für eine Sitcom üblich, hoher Realitätsbezug vorherrscht. Die Handlungen und Orte sind alltagsbezogen und auch die Charaktere handeln mehr oder weniger realistisch.[78] Natürlich werden die Figuren oftmals überspitzt gezeigt. In diesen Fällen legen sie ein „Extremverhalten“ an den Tag, was meistens der Komik dient.[79] TGG weisen strukturelle, inhaltliche sowie produktionstechnische Gemeinsamkeiten mit anderen Sitcoms sowie in der eigenen Serienwelt auf. Demnach ist die Produktion seriell, das bedeutet, dass TGG in einzelne Folgen und Staffeln unterteilt ist.[80] Fast jede Folge erzählt eine Haupthandlung und mehrere Nebenhandlungen.[81] Das Set ist nach einer Seite hin offen, damit das Publikum die Handlung verfolgen kann – im Studio ist das die erste Kamera. Traditionell gibt es weitere Kameras, die die Dialoge nach dem Schuss-Gegenschuss-Verfahren (three-camera set up) aufzeichnen.[82] Damit wird nicht etwa die perfekte Illusion wie in Filmen erzeugt, sondern es wird so gefilmt, dass den Darsteller*innen sowie dem Publikum bewusst ist, dass es sich um eine „performance“ handelt.[83] Daher unterbrechen die Figuren auch ihre Dialoge, um z. B. das Lachen des Publikums abzuwarten.[84] Eine gewisse Theatralität steht damit im Vordergrund.[85] Der Humor wird durch Situationen erzeugt, die der*dem Zuschauer*in womöglich schon selbst zugestoßen sein könnten. Die Betonung liegt auf „könnten“, denn die Sitcom lebt davon, den Alltag – der per se nicht witzig ist – zu stören, sodass das „normale“ Alltagsleben humorvoller erscheint.[86] Insofern sind in TGG das Setting, die Figuren, die Orte und die Handlungen über einen sehr langen Zeitraum präsent und ändern sich kaum. Schließlich ist es das Ziel von TGG, die größtmögliche Identifikation beim Publikum zu erreichen – sei es durch die Charaktere, da die Zuseher*innenschaft die Serie über lange Zeit verfolgt, oder aber, weil sie per se so ausgelegt ist, diese Effekte zu erzielen.[87] Ebenso erhöhen Produktionsstrategien wie Point-of-View-Einstellungen die Emotionen oder fördern Reaktionen beim Publikum.[88] Die Figuren sind relativ natürlich, die Autor*innen schreiben realistische Drehbücher und die Szenen basieren auf umgangssprachlichen Dialogen.[89] Eine weitere Strategie ist es, mit „binary opposition“[90] zu arbeiten, also grundlegende Gegensätze, die beim Aufeinandertreffen eine große Quelle der Komik entstehen lassen sollen. Damit dies in komische Situationen führt, müssen Charaktere sich oft klischeehaft geben, überspitzt handeln oder vereinfachen (z. B. Stereotypisierung wie naives Verhalten). Neben unterschiedlichen Point-of-Views wechseln die Einstellungsgrößen zumindest in dieser Folge zwischen Halbnah- und Halbtotale-Aufnahmen.[91] In den Dialogszenen sind es zumeist Nah-Aufnahmen, damit Mimik und Gestik gut sichtbar bleiben, wobei die Mimik im Vordergrund steht.[92] Großaufnahmen, denen laut Theorie die meiste Wirkungsmacht zukommt, sind selten.[93] Eine gleichmäßige und helle Ausleuchtung (ausgenommen es ist gerade Nacht) sorgt für eine positive Gesamtatmosphäre. Doch als Blanche das „lesbische Konzept“ erklärt bekommt und sie endlich begreift, gehen im wahrsten Sinne des Wortes alle Lichter im Studio an.[94] Die Ausstattung ist jene, die für TGG üblich ist und für diesen Zeitabschnitt typisch. Im Grunde spielt eine Szene im Wohnzimmer, die Figuren sitzen auf dem Sofa, eine andere spielt in der Küche, dann sitzen alle am Esstisch, oder im Schlafzimmer, dann liegen Dorothy und Sophia im Bett. Maximal erwartbare Bewegungen sind, dass jemand zur Tür reinkommt oder wieder zur Tür rausgeht, der Rest ist Mimik und Gestik. Hervorzuheben ist zudem, dass es sich bei dem Eis, das Rose serviert, um echtes Speiseeis handelt, was angesichts der vielen Leuchtkörper am Set bestimmt eine kleine Meisterleistung war.[95] Kurzum: Ausstattung, Orte, Dialoge, Figuren, Narration, Kameratechnik uvm. sind in TGG bewusst so inszeniert, dass es dem Publikum leichtfällt, sich damit zu identifizieren.[96] Gleich zu Beginn der Episode wird Jean zu ihrem So-sein befragt. Sie wird als glücklich und selbstbewusst dargestellt und obwohl die Szenen lustig sind, haben sie einen ernsten Unterton, der den Zuschauer*innen etwas vermitteln will. Es gibt allerhand generelle Fragen zum Lesbischsein und eine Lehreinheit, wie sich mensch richtig verhalten soll. „Jean is a nice person. She happens to like girls instead of guys. Some people like cats instead of dogs. Frankly I’d rather live with a lesbian than a cat. Unless a lesbian sheds. Then I don’t know“,[97] Sophia, die älteste Dame der Runde, sorgt nach bereits einigen Minuten dafür, dass das Eis gebrochen wird und für erste Lacher. Doch gehen die Witze in dieser Episode vorwiegend auf Blanches Kosten, denn in einem fantastischen Wortspiel verrät sie zum Beispiel, dass sie den Unterschied zwischen „Lesbe und Libanese“ nicht kennt.[98] In einer weiteren Sequenz liegen Tochter Dorothy und Mutter Sophia gemeinsam im Bett – was in der Serie absolut kein Tabu darstellt – und Dorothy fragt Sophia, wie sie reagieren würde, wenn eines ihrer Kinder homosexuell wäre. Zunächst sorgt die Reaktion von Sophia abermals für Lacher, da sie Hypothesen zur Homosexualität ihrer Kinder anstellt.[99] Danach folgt aber eine sehr schöne und ernste Antwort:

Sophia: I’ll tell you the truth, Dorothy. If one of my kids was gay, I wouldn’t love him one bit less. I would wish him all the happiness in the world![100]

Obgleich nicht darüber gesprochen wird, wie z. B. ein solches Lebensmodell für ältere Menschen aussehen könnte und die Show an ihrer „lustigen Oberfläche“ bleibt – auch sind wir im Jahr 1986 –, liegt die Stärke dieser Episode darin, dem  – ebenso wie Blanche und Rose – ahnungslosen Publikum zu erklären, wie ein offener Umgang mit Gay People aussehen kann. Neben diesem fast schon pädagogischen Ansatz arbeitet die Sendung an anderer Stelle geradezu psychologisch.[101] Denn der größte Lacher entsteht an der Stelle, an der Blanche entsetzt reagiert, als sie von Jeans Vorlieben erfährt – sie nimmt es ihr glatt übel. Allerdings nur deswegen, weil sich Jean zu Rose und nicht zu ihr hingezogen fühlt, was ihr völlig unverständlich erscheint:

Sophia: Jean thinks she’s in love with Rose!
Blanche: Rose? Jean has the hots for Rose? I don’t believe it! I do not believe it!
Dorothy: I was pretty surprised myself!
Blanche: Well, I bet! To think Jean would prefer Rose over me, that’s ridiculous![102]

Was sich während der Sendezeit alles an Emotion beim Publikum angestaut hat, entlädt sich in diesen Sekunden – es ist ein kontroverses Thema und viel Spannung wurde erzeugt. An der Stelle wird Blanches wunder Punkt getroffen und damit ist ihr emotionaler Ausschlag am stärksten. Sie zeigt ihre empfindliche Seite, was zur größten emotionalen Wirkung beim Publikum führt, weil sie trotz oder gerade wegen ihres wunden Punktes von ihren Fans geliebt wird. Sind Publikum und Protagonist*in empathisch verknüpft, verbindet sich die*der Zuseher*in in diesem Moment mit der emotionalen Wahrheit und eine Katharsis kann sich einstellen.[103] Damit wird die Thematik mit einer positiv nachwirkenden Szene verschwistert. Die wichtigste Szene in Bezug auf die vorliegende Arbeit ist, als Jean mit Rose über ihre aktuelle Lebenssituation spricht und über die Tatsache, dass ihre Lebenspartnerin Pat gestorben ist.

Rose, about last night. I should never have said anything. You only said what you were feeling. It’s just that this last year has been so difficult for me. Pat was the person I planned to spend the rest of my life with. And when she died, I just felt so terribly alone. Empty. I thought I could never care for anyone again. Until I met you.[104]

Wie eingangs bereits herausgearbeitet, ist diese Problematik keineswegs von „gestern“, sondern aktuell – insofern lässt der Dialog tief blicken. Rose wird als naives „Bauernmädchen“ aus Minnesota dargestellt, die nicht viel versteht und schon gar nicht, was eine Lesbe ist („Ich hätte es nachschlagen können!“,[105] ruft sie aus, als Dorothy ihr gesteht, sie hätte Angst gehabt, dass sie nicht wüsste, was der Begriff bedeute). Doch obwohl sie hie und da „weltfremd“ agiert, handelt sie zutiefst menschlich. In dieser wichtigen Szene konzentriert sich die Serie nicht etwa auf die komischen Elemente, sondern auf die zwischenmenschliche Beziehung und die freigesetzten Emotionen. Rose fungiert als unhinterfragbare Sympathieträgerin, da sie mit ihrem liebenswerten Charakter größtmögliches Verständnis für Jeans Situation aufbringt.

4.      Evaluation

Durch Judith Butlers Brille betrachtet stellt sich im Rahmen der Analyse die Frage, wie eine Sitcom, die im Grunde auf vorherrschenden Normen und Werten basiert, mit dem Anfechten dieser zusammengeht. Selbst wenn TGG gezielt mit „binary opposition“[106] spielt und arbeitet, ist die Serie gerade deswegen auch Teil von öffentlichen Diskursen. Wie eingangs erklärt, beschreibt Butler Normen als eine Art Raster, aus denen Menschen herausfallen können, wenn sie nicht diesen Schemata entsprechen. Nur innerhalb dieser normativen Gitter können Menschen als Menschen anerkannt werden. Wenn mein Begehren nicht in einem Bereich des Normrasters stattfindet, dann folgt daraus, dass für mein Überleben ausschlaggebend ist, den Zugriff der Normen, durch die Anerkennung verliehen wird, zu entkommen.[107] Damit wird klar, dass wir in einer Welt leben, in der ein Zwang zu einer eindeutigen Geschlechtsidentität besteht (also Mann ODER Frau zu sein) – und so wird auch die Wirklichkeit gestaltet und bestimmt, welches Leben als ein lebenswertes anerkannt wird und welches nicht. Jedoch stellt Butler in Aussicht, dass, selbst wenn wir nicht ohne diese Normen leben können, ihre Formen nicht vollkommen gegeben oder fixiert sind.[108] Freilich spielen Sitcoms mit Vereinfachungen und Stereotypisierungen, damit sie eine möglichst große Projektionsfläche für die Identifikation erreichen. Ebenfalls dient dies oft als Ausgangslage für die Erzeugung von Konflikten, die wiederrum für Lacher sorgen sollen. Diese Szenen werden freilich heftig kritisiert, immerhin hat die Serie bis heute in der Queer-Community Kultstatus.[109] Auch liegt die Serie aus gegenwärtiger Sicht betrachtet bei queer nicht immer richtig. Doch insgesamt tut die Serie mehr Recht als Unrecht, wenn es um die niederschwellige Aufarbeitung von sozialkritischen Themen geht.[110] Aus diesem Grund behaupte ich, dass gerade TGG es durch Humor und Fantasie schafft, die von Butler angesprochenen Grenzen zu überwinden. Mit dem Ergebnis, dass sich eine andere Wirklichkeit auftut, beispielsweise eine Gesellschaft, die auch im Alter als bunt und lebendig gilt. Der Austausch zwischen den Figuren ist überaus menschlich und Jean wird durchgängig von allen mit viel Respekt behandelt: Sie und ihr menschliches Begehren sind anerkannt. Die Serie macht sich zwar über das alltägliche Leben lustig, über das Triviale, spricht aber genauso ernsthafte Probleme an. Im Speziellen sind es Herausforderungen von Menschen im Alter, die eben auch lesbisch sein können und deren Probleme auch wichtig sind und gar nicht so viel anders als die der breiten Zuschauer*innenschaft. Insofern kann ich mich sehr gut daran erinnern, als meine Mutter eines Tages vor dem Fernsehgerät verkündete, im Alter auch wie die „Golden Girls“ leben zu wollen. Aktuell betrachtet, ist ihr das nicht gelungen, möglicherweise, weil es derartige Wohnkonzepte kaum gibt – weder für ältere Menschen, die sich als weiblich oder männlich und heterosexuell verstehen, noch für Menschen, die sich nicht damit identifizieren. Insofern ist die Debatte aus dieser Zeit noch lange nicht zu Ende geführt, sondern topaktuell. Ebenso werden in der Folge generelle Fragen zur Homosexualität gestellt, vermutlich infolge der aufkommenden AIDS-Debatte. Allerdings gibt es auch heute noch viele ungeklärte Aspekte in Bezug auf sexuelle Orientierungen, nicht umsonst entwickelten sich, wie schon erwähnt, zahlreiche Wissensgebiete dazu. Trotz aller Stereotypisierung sorgt diese Folge durch den hohen Identifikationsgehalt für Reflexion – beispielsweise in erwähnter Szene, als Blanche gekränkt reagiert, weil sie nicht Jeans Auserwählte ist. In diesem Fall reflektiert sie das Konstrukt vom „richtigen“ oder „falschen“ Begehren. „Golden Girls“ sind, wenn mensch so möchte, politisch, denn sie haben Macht: Sie sprechen Dinge an, die in sämtlichen Wohnzimmern dieser Welt absolute Tabuthemen waren oder nach wie vor sind. Obendrein tun sie das in einem Alter, in dem Menschen nicht mehr als „begehrens- oder sexfähig“ gelten. In dieser Arbeit konnte also in einem sehr kleinen Rahmen aufgezeigt werden, welche Wirkungsmacht die Sitcom besitzt, sie kann mitreißen, bringt progressive Themen auf den Tisch und sorgt für Reflexion bei den Rezipient*innen. Ebenda wäre es lohnenswert, die Arbeit in Richtung Fanforschung noch auszudehnen. Doch generell wäre es wichtig, noch detaillierter aufzuzeigen, dass TGG zu wenig ist, um alternde LGBTQIA* nicht völlig von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Außerdem würde mensch sich an vielen Stellen wünschen, dass sich seit der Ausstrahlung der Serie mehr in diese Richtung verändert hätte. Doch führen wir ähnliche oder dieselben Debatten noch immer. Jedenfalls geben uns The Golden Girls in dieser Folge zu denken: Denn sie erinnern daran, was Menschlichkeit bedeuten kann.


[1] Vgl. Ralf Lottmann/Rüdiger Lautmann, „Queer und Alter(n) – zum Forschungsstand“, Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine, hg. v. Friederike Schmidt [u. a.] Wiesbaden: Springer VS 2015, S. 337–356, hier: S. 337.

[2]Vgl. Lottmann/ Lautmann, „Queer und Alter(n), S. 337.

[3] Vgl. ebd.

[4]Heimische Beispiele sind KLUB+ Regenbogen.Treff, 50+ Prime Timers, Wechselgruppe, Club Kreativ, Aus dem Rahmen, Gay Cops.

[5] Marco Pulver, „Anders Altern. Zur aktuellen Lebenslage von Schwulen und Lesben im Alter“ Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine, hg. v. Friederike Schmidt [u. a.] Wiesbaden: Springer VS 2015, S. 303–318, hier: S. 303f.

[6]Friederike Schmidt [u. a. ] (Hg.), „Einleitung“, Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine, S. 8–22, hier: S. 20.

[7] Diese Studien finden zurzeit noch eher vereinzelt und in meist kleineren Settings statt; vgl. Marco Pulver, „Anders Altern“, S. 304.

[8] Vgl. ebd.

[9]Menschen, die sich weder weiblich noch männlich verstehen, wurden bei Marco Pulver in diesem Absatz nicht extra angeführt. Vgl. a. a. O., S. 305.

[10] Vgl. Pulver, „Anders Altern“, S. 305.

[11] Vgl. a. a. O., S. 307.

[12] Vgl. a. a. O., S. 306.

[13] Vgl. a. a. O., S. 306ff.

[14] Vgl. Lea Schütze, Schwul sein und älter werden. Selbstbeschreibungen älterer schwuler Männer, Wiesbaden: Springer VS, S. 187.

[15] Pulver, „Anders Altern“, S. 310. Insgesamt gibt es noch wenige Wohnprojekte, für Schwule und Lesben. In Wien entstand das erste Wohnprojekt 2020 in der Seestadt Aspern, der „Que(e)rbau“ – weitere sind gerade in Planung z. B. „Que(e)rbeet im Wildgarten“ und Biber*land.

[16] Vgl. a. a. O., S. 311.

[17] Vgl. a. a. O., S. 308f.

[18] Vgl. a. a. O., S. 309.

[19] Pulver, „Anders Altern“, S. 305.

[20] Vgl. a. a. O., S. 306f.

[21] Vgl. Schütze, Schwul sein und älter werden, S. 143.

[22] Bei The Golden Girls handelt es sich um eine US-amerikanische Sitcom, die in 180 Episoden von 1985 bis 1992 abgedreht wurde (Erstausstrahlung in Deutschland 1990 bis 1994). Die Serie dreht sich um den Alltag einer Wohngemeinschaft mit vier älteren Damen in Miami. In der Serie wurden auch sozialkritische- und Tabu-Themen mit Humor und Leichtigkeit angesprochen.

[23] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986.

[24] Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991.

[25] Judith Butler, „Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechtsidentität*/Begehren“, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 15–62.

[26] Vgl. Christine Hauskeller, „Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter“, Geschichte des politischen

Denkens II. Das 20. Jahrhundert, hg. v. Manfred Brocker, Berlin: Suhrkamp 2018, S. 1–15, hier: S 1–4.

[27] Annamarie Jagose, Queer Theory. Eine Einführung, hg. v. Corinna Genschel et al., Berlin: Querverlag 2001.

[28] Judith Butler, Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009.

[29] Der Begriff queer stammt ursprünglich aus dem englischen Sprachraum und meint wörtlich „schräg“ oder „seltsam“. Gabriele Dietze [u. .a], Intersektionalität und Queer Theory, 2012, www.portal-intersektionalität.de, 05. 09. 2021.

[30] Vgl. Jagose, Queer Theory, S. 13.

[31] Die Schreibweise wurde von Annamarie Jagose übernommen.

[32] Vgl. ebd.

[33] Vgl. ebd.

[34] Vgl. ebd.

[35] Vgl. a. a. O., S. 14.

[36] Jagose, Queer Theory, S. 15.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. A. a. O., S. 18.

[39] ebd.

[40] Teresa de Lauretis „Queer Theory: Lesbian and Gay“, S. iv, zitiert nach Annamarie Jagose, Queer Theory. Eine Einführung, hg. v. Corinna Genschel et al., Berlin: Querverlag 2001, S. 15.

[41] A. a. O., S. 16.

[42] Vgl. Hauskeller, „Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter“, S. 1.

[43] Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 15.

[44] Vgl. a. a. O., S. 15f.

[45] Vgl. a. a. O., S. 16.

[46] Butler bezieht sich an der Stelle auf Michel Foucault, der darauf hinweist, dass juridische Machtregime Subjekte, die es schließlich repräsentiert, zuerst auch produziert. Vgl. Michel Foucault, „Recht über den Tod und Macht zum Leben“, Sexualität und Wahrheit, Band 1, 1979; ebd.

[47] Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 17.

[48] Vgl. ebd.

[49] Vgl. ebd.

[50] Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 18f.

[51] A. a. O., S. 20.

[52] Vgl. ebd.

[53] Vgl. a. a. O., S. 21.

[54] Vgl. a. a. O., S. 22.

[55] Vgl. a. a. O., S. 23.

[56] Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 23f.

[57] Simon de Beauvoir, Das andere Geschlecht, übers.: E. Rechel-Mertens, Hamburg: F. Montfort 1990.

[58] de Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 265.

[59] Jedoch behält Simone Beauvoir den Geist-Körper-Dualismus aufrecht (was symptomatisch für den Phallogozentrismus ist). Kulturelle Assoziation: Geist-Männlich, Körper-Weiblich, produzierte die Geschlechterhierarchie lt. Butler; Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 28.

[60] Vgl. a. a. O., S. 26.

[61] A. a. O., S. 24.

[62] Vgl. a. a. O., S. 26.

[63] Ebd.

[64] Ebd.

[65] Ebd.

[66] A. a. O., S. 27.

[67] Vgl. ebd.

[68] Butler, Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, S. 357.

[69] Ebd.

[70] A. a. O., S. 358.

[71] Ebd.

[72] Vgl. Babka, Postcolonial-queer, S. 23.

[73] Vgl. ebd.

[74] Butler, Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, S. 20.

[75] A. a. O., S. 10.

[76] Vgl. ebd.

[77] Butler, Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, S. 10f.

[78] Vgl. Jonathan Cohen, „Audience Identification With Media Characters“, Psychology of Entertainment, hg v. Jennings Bryant/Peter Vorderer, Mahwah [u. a. ] Lawrence Erlbaum Associates: 2006, S. 183–197, hier: S. 185ff.

[79] Vgl. Cohen, „Audience Identification With Media Characters“, S. 186.

[80] Vgl. a. a. O., S. 184.

[81] Barbara J. Wilson/Stacy L. Smith, „ Children’s Responses to Emotional Portrayals on TV“, Handbook of Communication. and Emotion Research, Theory, Applications, and Contexts, hg. v. Peter A. Andersen/Laura K. Guerrero, San Diego [u. a. ]: Academic Press: S. 533–569, hier: S. 541.

[82] Vgl. Brett Mills, The Sitcom. TV Genres, hg. v. Deborah Jermyn/Su Holmes, Edinburgh: Edinburgh University Press 2009, S. 39; Vgl. Kate Browne, The Golden Girls. TV Milestones Series, hg. v. Barry Keith Grant, Detroit: Wayne State University Press: 2020, S. 23 (E-Book).

[83] Vgl. Mills, The Sitcom, S. 39.

[84] Vgl. a. a. O., S. 132.

[85] Vgl. a. a. O., S. 39.

[86] Vgl. Karin Knop, Comedy in Serie. Medienwissenschaftliche Perspektiven auf ein TV-Format, Bielefeld: transcript 2007, S. 87.

[87] Vgl. Cohen, „Audience Identification With Media Characters“, S. 192.

[88] Vgl. Mills, The Sitcom,S. 39f.

[89] Vgl. a. a. O., S. 56.

[90] Jonathan Bignell, An Introduction to Television Studies, London/New York: Routledge 32012, S. 98.

[91] Vgl. Knut Hickethier, Film– und Fernsehanalyse, Stuttgart/Weimar: Metzler 52012, S. 57f.

[92] Vgl. Hickethier, Film– und Fernsehanalyse, S. 58.

[93] Vgl. ebd.

[94] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:12:45.

[95] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:04:31.

[96] Vgl. Cohen, „Audience Identification With Media Characters“, S. 192.

[97] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:03:12.

[98] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:13:14.

[99] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:11:38.

[100] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:11:54.

[101] Mills, The Sitcom, S. 88.

[102] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:14:15.

[103] Evan S. Smith, Writing Television Sitcoms, New York: Tarcher Perigee 2009, S. 18; Dana Sutton, The Catharsis of Comedy, Lanham/Maryland: Rowman & Littlefield: 1994, S. 19–31.

[104] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:22:40.

[105] „Isn’t It Romantic?“, The Golden Girls, 2/5, R.: Susan Harris, 1986, Minute: 00:21:34.

[106] Bignell, An Introduction to Television Studies, S. 98.

[107] Vgl. Butler, Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, S. 10f.

[108] Vgl. a. a. O., S. 206f.

[109] Vgl. Browne, The Golden Girls, S. 81 (E-Book);

[110] Vgl. ebd.